Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer,
es gibt Geschichten in der Bibel, die tun richtig weh. Nicht, weil sie grausam wären oder voller Leid – sondern weil sie eine Grenze aufzeigen, die auch Menschen betrifft, die eigentlich alles richtig gemacht haben. Mose zum Beispiel. Der Mose. Der große Anführer, der mit Gott sprach wie mit einem Freund. Der das Volk durch die Wüste führte, mit aller Geduld, mit aller Hoffnung, mit aller Kraft. Und dann – ein Fehler, ein Moment, ein Bruch – und er darf das verheißene Land nicht betreten. Das ist bitter. Und das ist genau das, was uns in 4. Mose 20,1–13 begegnet.
„Und die Gemeinde hatte kein Wasser, und sie versammelten sich gegen Mose und Aaron.“
Es ist wieder eine dieser Situationen, die wir mittlerweile aus der Wüstenwanderung kennen. Das Volk ist durstig – nicht nur im körperlichen Sinn, sondern auch seelisch. Sie klagen, sie murren, sie werfen Mose wieder einmal vor, sie in den Tod geführt zu haben. Das ist kein kleines Gejammer, sondern ein existenzieller Schrei: „Warum nur? Hätten wir doch…!“ Diese Art von Unzufriedenheit kennt wahrscheinlich jeder von uns. Es ist dieses Gefühl, dass alles, was man tut, sowieso nie reicht. Dass selbst das größte Engagement, die beste Absicht, irgendwann verpufft. Und genau da wird es spannend.
„Und der HERR redete mit Mose und sprach: Nimm den Stab und versammle die Gemeinde, du und dein Bruder Aaron, und redet vor ihren Augen zu dem Felsen, so wird er sein Wasser geben.“
4. Mose 20,7–8
Reden, nicht schlagen. Das war die Anweisung. Gott möchte Mose zeigen lassen: Ich bin treu, ich bin da, ich wirke durch euer Vertrauen – nicht durch eure Kraft. Und Mose? Er hört zwar, aber tut dann doch etwas anderes:
„Da hob Mose seine Hand auf und schlug den Felsen mit seinem Stab zweimal; da floss viel Wasser heraus, sodass die Gemeinde trank und ihr Vieh.“
4. Mose 20,11
Das Wunder geschieht. Das Wasser fließt. Die Menschen werden versorgt. Aber Mose hat Gottes Anweisung nicht befolgt. Und die Konsequenz kommt hart:
„Weil ihr mir nicht geglaubt habt, um mich heilig zu erweisen vor den Augen der Israeliten, darum sollt ihr diese Gemeinde nicht in das Land bringen, das ich ihnen geben werde.“
4. Mose 20,12
Was war das Problem? Es war nicht einfach nur Ungehorsam. Es war Misstrauen. Gott wollte zeigen: Mein Wort allein reicht. Aber Mose vertraute offenbar mehr der alten Methode: dem Schlag mit dem Stab. Vielleicht aus Gewohnheit, vielleicht aus Frust, vielleicht aus Überforderung. Wer will es ihm verübeln?
Doch hier lernen wir: Vertrauen zeigt sich im Gehorsam – gerade dann, wenn man’s anders gewohnt ist. Worte statt Gewalt. Vertrauen statt Kontrolle. Zuhören statt Durchziehen. Und das ist nicht nur eine Lektion für Mose, sondern für uns alle. Wie oft greifen wir lieber zum „Stab“, wenn Gott uns längst gesagt hat: Sprich. Vertraue. Lass mich machen.
Diese Geschichte hat ein Echo im Neuen Testament – und das ist kein Zufall. In 1. Korinther 10,4 schreibt Paulus über das Volk in der Wüste:
„Sie tranken aus einem geistlichen Felsen, der ihnen folgte; der Fels aber war Christus.“
Jesus – der Fels, aus dem das lebendige Wasser fließt. Nicht durch Gewalt, sondern durch das Wort. Nicht durch Druck, sondern durch Liebe. Er wurde nicht geschlagen, weil Gott es so wollte, sondern weil Menschen nicht verstanden haben, dass Worte reichen. Und trotzdem ließ er es geschehen – um unsere Sehnsucht nach echtem Leben zu stillen.
Man könnte fast sagen: Christus ist der zweite Mose – aber mit einem anderen Ende. Während Mose nicht ins verheißene Land durfte, ging Jesus nicht nur hinein, sondern öffnete es für alle, die ihm vertrauen. Ohne Gewalt. Ohne Murren. Sondern mit offenen Armen.

Ich habe einmal die Geschichte eines jungen Mannes gelesen, der als Jugendlicher immer wieder mit der Faust handelte. Er war stark, hatte einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit – aber auch ein loses Temperament. Ein Lehrer, der ihn nicht aufgab, sagte einmal zu ihm: „Du bist ein Anführer. Aber wenn du immer zuerst zuschlägst, wirst du nie jemandem zeigen können, dass dein Wort reicht.“ Jahre später wurde dieser junge Mann Sozialarbeiter und begann, mit Worten Leben zu verändern. Warum? Weil er gelernt hatte: Der wahre Fels gibt Wasser durch Vertrauen, nicht durch Druck.
Vielleicht gibt es auch in deinem Leben Situationen, in denen du den „Stab“ schon erhoben hast. Weil es schneller geht. Weil es sich richtiger anfühlt. Weil du nicht mehr hören willst. Aber vielleicht ist genau jetzt der Moment, wo Gott dir sagt: „Sprich. Vertraue. Ich wirke durch dein Vertrauen, nicht durch deine Kraft.“

Das ist eine Einladung. Und manchmal auch eine Zumutung. Aber sie führt ins verheißene Land. Und wenn nicht in dieser Welt, dann ganz sicher in der kommenden.
Gott, hilf mir, nicht aus Gewohnheit zu handeln, sondern aus Vertrauen. Hilf mir, dein Wort wichtiger zu nehmen als meine alten Methoden. Und wenn ich wieder mal den Stab erheben will – erinnere mich daran, dass du schon längst bereit bist, Wasser fließen zu lassen. Durch dein Wort. Durch deine Liebe. Durch deinen Sohn.
Amen!