558 – „Was Recht ist, soll auch Recht bleiben“ – Zum Tag für das Recht auf Wahrheit

558 – „Was Recht ist, soll auch Recht bleiben“ – Zum Tag für das Recht auf Wahrheit

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer,

wer sich in der Geschichte umsieht, merkt schnell: Wahrheit ist nicht immer bequem. Sie passt nicht in jedes politische Konzept, nicht in jede wirtschaftliche Strategie. Und manchmal ist sie so mächtig, dass Menschen bereit sind, für sie zu sterben. Am 24. März erinnert die Welt an Óscar Romero – Erzbischof, Menschenrechtler, Märtyrer. Er hat das Evangelium nicht nur gepredigt, sondern gelebt. Und das in einer Zeit und an einem Ort, wo das lebensgefährlich war.

Sein Vermächtnis lebt weiter – auch im biblischen Ruf nach Gerechtigkeit. Ein Ruf, der sich durch die Jahrhunderte zieht, manchmal leise, manchmal laut. Einer dieser lauten Momente kommt aus dem Mund des Propheten Amos:

„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Amos 5,24

Was für ein kraftvolles Bild! Gerechtigkeit, nicht als trockene Theorie oder juristisches Konstrukt, sondern wie Wasser – lebendig, erfrischend, mächtig. Und eben nicht aufzuhalten, wenn es einmal in Bewegung gerät. Romero hat dieses Bild in seinem Wirken verkörpert. Er hat die Stimme für die erhoben, die keine hatten. Die Armen, die Entrechteten, die Gefolterten, die Verschwundenen.

Wie Amos, so sprach auch Micha davon, was Gott wirklich von uns will. Keine Opfer, keine Pracht, kein religiöser Pomp – sondern etwas, das jede und jeder leben kann:

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
Micha 6,8

Einfach ist das nicht. Aber klar. Und ehrlich. Romero lebte genau das: Demut, Barmherzigkeit, Treue zur Wahrheit. Als er Missstände anprangerte, war das keine politische Strategie, sondern eine geistliche Notwendigkeit. Seine Sonntagspredigten waren für viele Salvadorianer die einzige zuverlässige Informationsquelle. Und sie waren gefährlich für jene, die Gewalt und Unterdrückung als Herrschaftsmittel benutzten. Dass Romero während der Feier einer Messe erschossen wurde, zeigt die Angst der Mächtigen vor der Wahrheit. Sie fürchteten nicht den Menschen, sondern das, was durch ihn gesprochen wurde.

Und wir heute? Wo stehen wir, wenn es um Wahrheit geht? In Zeiten von „Fake News“, Desinformationskampagnen und Algorithmen, die uns nur noch zeigen, was wir sowieso glauben – da ist der Mut zur Wahrheit keine Selbstverständlichkeit mehr. Es braucht Menschen, die sagen: „Stopp. Das ist nicht in Ordnung.“ Menschen, die die Geschichten der Opfer erzählen, wenn andere schweigen wollen. Menschen, die nachfragen, wo andere einfach weitermachen. Menschen wie Óscar Romero.

Demonstration für Demokratie in Deutschland, DALL·E, prompted by ChatGPT 4o
Demonstration für Demokratie in Deutschland, DALL·E, prompted by ChatGPT 4o

Vielleicht denkst du jetzt: „Ich bin kein Bischof. Ich werde nie so berühmt oder mutig sein.“ Aber es geht nicht um Heldentum. Es geht um die tägliche Entscheidung für Gerechtigkeit. Darum, wie du über andere redest. Wie du deine Stimme erhebst, wenn jemand fertiggemacht wird. Wie du für das einstehst, was du als richtig erkennst – auch wenn es unbequem ist.

Politische Kundgebung in Mittelamerika, Imagen 3, prompted by ChatGPT 4o
Politische Kundgebung in Mittelamerika, Imagen 3, prompted by ChatGPT 4o
Auf dem Weg zur Schule, Imagen 3, prompted by ChatGPT 4o
Auf dem Weg zur Schule, Imagen 3, prompted by ChatGPT 4o

Dass solch ein Einsatz gefährlich sein kann, zeigen zahlreiche Beispiele. In Mexiko etwa leben Lehrerinnen und Lehrer in ständiger Bedrohung – nicht, weil sie revolutionäre Reden halten, sondern einfach, weil sie ihrer Arbeit nachgehen. In Ciudad Juárez verlangten kriminelle Banden im Jahr 2008 von Lehrkräften ihre Weihnachtsprämien. Wer sich weigerte, wurde bedroht – nicht selten mit Gewalt gegen die eigene Familie oder die Schülerinnen und Schüler (Quelle:The Guardian, 18.11.2008).

Auch 2011 kam es in Acapulco zu massiven Einschüchterungen: Drogenkartelle forderten von Lehrern die Hälfte ihres Gehalts. Viele Schulen blieben geschlossen, weil die Angst zu groß war. Einfache Menschen, die ihren Beruf leben wollten – und damit ins Visier der Gewalt gerieten
(Quelle: Council on Hemispheric Affairs, 2011).

Diese Beispiele zeigen: Gerechtigkeit hat ihren Preis. Aber auch ihre Würde. Genau darum geht es heute: um das Recht auf Wahrheit und die Würde der Opfer. Um das Erinnern. Und um die Frage, ob wir bereit sind, diese Wahrheit zu leben – im Kleinen wie im Großen.

Und manchmal beginnt sie ganz unspektakulär. Mit einem Nein zur Lüge. Mit einem Ja zur Gerechtigkeit. Mit dem Mut, die Wahrheit zu lieben – auch wenn sie wehtut.

So ehren wir heute nicht nur Óscar Romero, sondern auch all jene, die ihre Stimme nicht mehr erheben können. Und wir machen uns bewusst: Gerechtigkeit beginnt mit der Entscheidung, hinzusehen. Nicht wegzusehen. Zu hören. Nicht zu überhören. Zu reden. Nicht zu schweigen.

Gott, du Quelle der Wahrheit und Gerechtigkeit. Stärke alle, die sich für das Recht einsetzen. Gib uns Mut, ehrlich zu leben, und Kraft, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Lass uns nicht müde werden, der Gerechtigkeit nachzujagen. In deinem Namen bitten wir.

Amen!

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