689 – Wenn Glaube provoziert

689 – Wenn Glaube provoziert

Hinweis: Diese Andacht ist Teil der Reihe „Paulus auf dem Weg – Glaube mit allen Konsequenzen“. In Folge 687 („Was bleibt, wenn wir gehen?“) verabschiedete sich Paulus von der Gemeinde in Milet. In 688 („Und doch geht er weiter“) ging es um seine Weiterreise nach Jerusalem – trotz aller Warnungen. Heute geht es weiter mit seiner Ankunft dort.

Liebe Hörerinnen und Leser,

Paulus ist angekommen. Nach langer Reise, Warnungen und Tränen steht er nun tatsächlich in Jerusalem. Nicht triumphierend, nicht wie ein Held, sondern demütig, entschlossen – und mit gespannter Erwartung. Doch was dann geschieht, ist ein einziges Durcheinander aus frommen Missverständnissen, verletzten Empfindlichkeiten und roher Gewalt. Und mittendrin: ein Mann, der nur eines wollte – das Evangelium weitergeben.

„Und nachdem wir in Jerusalem angekommen waren, nahmen uns die Brüder mit Freuden auf.“
Apostelgeschichte 21,17

Der erste Moment ist herzlich. Die Gemeinde nimmt Paulus auf, die Brüder freuen sich. Es gibt keine Abrechnung, kein „wir haben es dir doch gesagt“. Nur Freude, dass er lebt. Und doch spürt man schnell: Unter der Oberfläche brodelt es.

Jakobus und die Ältesten begrüßen ihn, und Paulus erzählt, was Gott unter den Völkern getan hat. Sie preisen Gott – aber dann kommt der diplomatische Teil. Es gibt Gerüchte. Paulus sei gegen das Gesetz. Gegen Mose. Gegen das jüdische Erbe. Und das bei jemandem, der sein Leben lang ein tief überzeugter Jude war.

„Sie haben über dich gehört, du lehrest alle Juden, die unter den Heiden leben, von Mose abzufallen und sagest, sie sollen ihre Kinder nicht beschneiden noch nach den Gebräuchen wandeln.“
Apostelgeschichte 21,21

Das ist verletzend. Und gefährlich. Denn was hier klingt wie ein theologischer Streitpunkt, ist in Wahrheit ein kultureller Nerv. Paulus wird verdächtigt, das Heilige zu entweihen. Und obwohl nichts davon wahr ist, entscheidet er sich: Ich gehe ins Tempelritual. Um zu zeigen: Ich verachte eure Traditionen nicht. Ich bin einer von euch.

Doch der Plan geht schief. Nicht alle sehen, was er tut. Einige sehen nur, was sie sehen wollen: den Aufrührer. Den Prediger für die Heiden. Und dann eskaliert alles.

„Da schrien sie: Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle überall lehrt gegen das Volk, gegen das Gesetz und gegen diese Stätte; dazu hat er auch Griechen in den Tempel geführt und diese heilige Stätte entheiligt.“
Apostelgeschichte 21,28

Paulus - Dramatik in Jerusalem, Sora, prompted by ChatGPT
Paulus – Dramatik in Jerusalem, Sora, prompted by ChatGPT

Die Menge tobt. Die Fakten sind egal. Es geht nicht mehr um Wahrheit. Es geht um Wut. Um Nationalstolz. Um religiöse Ehre. Ein gefährlicher Cocktail. Paulus wird gepackt, geschlagen, fast gelyncht – bis römische Soldaten eingreifen. Ironie des Schicksals: Die heidnischen Besatzer retten den jüdischen Apostel vor dem eigenen Volk.

„Als aber die Soldaten kamen und ihn sahen, hörten sie auf, Paulus zu schlagen.“
Apostelgeschichte 21,32

Ein Bild mit Wucht: Der Bote Gottes liegt blutend am Boden, und keiner seiner eigenen Leute schützt ihn. Und doch: Paulus ergibt sich nicht. Als er auf der Treppe zur Festung gebracht wird – halb getragen – bittet er um ein Wort. Ja, richtig gehört: Er will sprechen. Nicht sich verteidigen, sondern reden. Von dem, was ihn bewegt. Von Jesus. Von seiner Berufung. Von Gnade.

Paulus vor der Rede, Sora, prompted by ChatGPT
Paulus vor der Rede, Sora, prompted by ChatGPT

„Als aber Paulus auf der Treppe war, bat er den Hauptmann, er möge ihm erlauben, zum Volk zu reden.“
Apostelgeschichte 21,37

Wer macht sowas? Wer bittet nach einem wütenden Mob darum, nochmal das Wort zu haben? Paulus. Weil sein Leben nicht auf Beifall aus ist. Sondern auf Wahrheit. Und weil er weiß: Glaube provoziert. Immer. Wo das Evangelium ernst genommen wird, da werden alte Sicherheiten wackelig. Da geraten Weltbilder ins Wanken. Und da zeigt sich: Was wir nicht verstehen, fürchten wir. Und was wir fürchten, bekämpfen wir.

Diese Szene ist ein Spiegel. Auch heute wird Glauben oft falsch verstanden. Verkürzt. Verzerrt. Aber: Wer mutig bleibt, wer nicht aufhört zu reden – der hinterlässt Spuren. Auch wenn sie manchmal mit Schmerzen verbunden sind.


Herr, gib uns den Mut, das Richtige zu sagen – auch wenn es nicht ankommt.

Gib uns die Kraft, den Weg zu gehen – auch wenn er unbequem ist.

Und schenk uns Gnade, da wo wir missverstanden werden.

Denn du kennst unser Herz.

Amen!


Fortsetzung folgt in Folge 690: „Ein Wort in Ketten“ – Paulus steht vor dem Hohen Rat. Was zählt, wenn die Wahrheit unbequem ist?

2 Kommentare

  1. Pingback: 690 – Ein Wort in Ketten – KI-Andacht.de

  2. Pingback: 688 – Und doch geht er weiter – KI-Andacht.de

Die Kommentare sind geschlossen.

Translate