Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer,
manchmal denkt man, das Leben hat sich in eine Sackgasse manövriert. Verletzungen sind tief, Beziehungen zerrissen, die Hoffnung im Keller. Und dann gibt es diese Momente, in denen alles eine unerwartete und gute Wendung nimmt. Genau so eine Szene finden wir im Alten Testament – und sie ist so lebendig, dass man fast meint, man wäre mitten im Raum dabei.

Josef, der von seinen eigenen Brüdern als Sklave verkauft und nach Ägypten verschleppt wurde, ist inzwischen der zweithöchste Mann im Land. Eine Hungersnot hat die ganze Region erfasst, und die Brüder kommen, um Getreide zu kaufen – ohne zu wissen, wer ihnen gegenübersteht. Nach einer bewegenden und spannenden Begegnung kommt der Augenblick, der alles verändert:
„Da konnte sich Josef nicht länger bezwingen vor allen, die um ihn her standen, und er rief: Laßt jedermann von mir hinausgehen! Und kein Mensch stand bei ihm, als sich Josef seinen Brüdern zu erkennen gab.“
1. Mose 45,1
Was dann kommt, ist kein Anklagen, keine Abrechnung – sondern ein Herz, das größer ist als der Schmerz:
„Und er sprach: Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Und nun bekümmert euch nicht und denkt nicht, daß ihr mich hierher verkauft habt; denn um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch hergesandt.“
1. Mose 45,4-5

Das ist die Art von Haltung, die die Welt verändert: nicht das Festhalten an Rache, sondern das Erkennen, dass Gott auch aus zerbrochenen Wegen etwas Gutes machen kann. Josef sieht das große Bild – er erkennt, dass Gottes Plan größer war als die Verletzung, die er erlebt hat.
Man könnte sagen, Josef entscheidet sich für die „Zukunftsperspektive“ statt für den „Schmerzblick“. Er sieht nicht nur, was geschehen ist, sondern wozu es in Gottes Hand geworden ist. Das öffnet den Raum für Versöhnung, Heilung und ein neues Miteinander.
Ich habe einmal in einem Zeitungsbericht gelesen, wie zwei verfeindete Dörfer in Afrika nach einem Jahrzehnt voller Hass und Gewalt wieder Frieden schlossen – ausgelöst durch ein gemeinsames Projekt, einen Brunnen zu bauen. Am Ende tranken die ehemaligen Feinde aus demselben Wasser. (Quelle: BBC News, 2019) – Es hat mich sofort an Josef erinnert: Manchmal führt Gott uns durch dürre Zeiten, um uns genau an den Punkt zu bringen, an dem neues Leben wachsen kann.
Vielleicht kennst du Menschen, mit denen dich etwas Schweres trennt. Vielleicht bist du selbst verletzt worden. Die Geschichte von Josef lädt ein, Gott zuzutrauen, dass er auch daraus etwas Gutes wachsen lassen kann – und dass eine überraschende Wendung näher ist, als du denkst.
Herr, ich danke dir, dass du selbst aus zerbrochenen Wegen Segen erwachsen lassen kannst.
Gib mir ein Herz wie Josef – frei von Rache, offen für deine Pläne und mutig zur Versöhnung.
Hilf mir, in meinen Beziehungen den Blick auf das Gute zu richten, das du noch wirken willst.
Amen!