Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer,
der 10. September ist der Welttag der Suizidprävention. Vielleicht betrifft dich das Thema ganz konkret – in der eigenen Seele, in deiner Familie, im Freundeskreis. Die Bibel verschweigt die Tiefe der Verzweiflung nicht; sie nimmt sie ernst. Und sie zeigt, dass Gott Menschen gerade dann nicht loslässt, wenn ihnen selbst der Halt entgleitet.
„Es ist genug; so nimm nun, HERR, meine Seele.“
1. Könige 19,4
Das sagt Elia – kein schwacher Mensch, sondern ein Prophet. Er kann nicht mehr. Er zieht sich zurück, legt sich hin. Er will sterben. Und Gott? Er diskutiert nicht. Er schickt einen Boten mit dem Nötigsten: Schlaf. Brot. Wasser. Eine Hand auf der Schulter.
„Ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss!“
1. Könige 19,5

Die Bibel moralisiert nicht über Elias Wunsch zu sterben; sie zeigt Fürsorge. Manchmal ist die geistliche Antwort erstaunlich bodenständig: essen, trinken, ausruhen, und erst später reden. Wer am Ende ist, braucht nicht zuerst eine Predigt, sondern Nähe und Schutzräume. Das gilt für Betroffene wie für Begleiterinnen und Begleiter.
„Warum gab man dem Mühseligen Licht?“
Hiob 3,20
Hiob ringt mit Gott, mit dem Sinn, mit sich. Die Bibel erlaubt diese Fragen. Wer verzweifelt, ist nicht weniger gläubig; er ist ehrlich. Und Ehrlichkeit ist ein Anfang. Wenn du selbst an Grenzen kommst: Du darfst klagen. Du darfst sagen, wie es ist. Du darfst dir Hilfe holen – medizinisch, therapeutisch, seelsorgerlich. Glaube ist kein Ersatz für Therapie; er kann Hand in Hand gehen.
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“
Matthäus 11,28

Jesu Zusage ist kein Zuckerguss, sondern ein tragfähiges Versprechen. Er lädt ein – ohne Bedingungen. Wer müde ist, darf kommen. Wer weint, darf kommen. Wer keine Worte findet, darf einfach nur da sein. Und manchmal zeigt sich Jesu Nähe durch Menschen, die rechtzeitig anrufen, mitgehen, dableiben.
Was können wir tun, um andere zu retten – realistisch, nahbar, ohne große Gesten?
1) Hinsehen. Achte auf Signale: Rückzug, plötzliche Ordnungsliebe („alles regeln“), verschenkte Dinge, Abschiedsformulierungen, riskantes Verhalten, anhaltende Hoffnungslosigkeit. Nicht jeder Hinweis bedeutet akute Gefahr – aber er bedeutet: Es lohnt sich, liebevoll nachzufragen.
2) Ansprechen – klar und warm. Ein Satz wie „Ich mache mir Sorgen um dich. Denkst du daran, dir etwas anzutun?“ ist keine gefährliche Idee, sondern oft eine Erleichterung. Du setzt Worte, wo der andere gefangen ist im Schweigen. Verurteile nicht. Keine Floskeln. Präsenz schlägt Perfektion.
3) Zuhören – ohne Eile. Gib Raum für die ganze Geschichte. Spiegeln statt lösen: „Das klingt sehr schwer. Ich bleibe bei dir.“ Pausen sind okay. Tränen sind okay. Schweigen ist okay. Wenn es dir zu viel wird: hol eine zweite Person dazu.
4) Sicherheit schaffen. Bei akuter Gefahr: nicht allein lassen, gemeinsam Hilfe rufen (112) oder zur nächsten Klinik fahren. Entferne – soweit möglich – unmittelbare Mittel. Das ist kein Misstrauen, sondern Schutz.
5) Verbinden. Zusammen anrufen: Hausarztpraxis, Krisendienst, TelefonSeelsorge. In Deutschland erreichst du die TelefonSeelsorge anonym und kostenlos: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222; Chat und Mail sind ebenfalls möglich. Schreibe die Nummer in dein Handy. Biete an, beim ersten Anruf dabeizubleiben.

6) Dranbleiben. Nach dem schweren Abend folgt oft ein stiller Morgen. Ein kurzer Gruß, eine Tasse Kaffee, ein Spaziergang – kleine Signale sagen: „Du bist nicht allein.“ Hoffnung kommt selten in einem Schritt, eher in vielen kleinen.
Für Betroffene gilt: Du bist nicht falsch, weil es dunkel ist. Du bist nicht schwach, weil du Hilfe brauchst. Das ist menschlich. Heilung ist ein Weg, kein Sprint. Glaube kann Halt geben, ohne Druck zu machen. Manchmal trägt dich ein kurzer Vers über den Tag, manchmal nur der Atemzug: einatmen – ausatmen – weitergehen.
„Der HERR ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind.“
Psalm 34,19
Wenn du jemanden verloren hast: Deine Liebe war nicht zu klein. Du trägst nicht die Schuld. Trauer ist Liebe, die keinen Platz mehr findet. Gott sieht deine leeren Hände. Suche Gemeinschaft, die deine Geschichte aushält – Menschen, die Erinnerungen teilen, Fotos anschauen, Namen aussprechen.

Und wenn du Begleiterin oder Begleiter bist: Sorge für dich. Auch Helfende brauchen Hilfe. Rede mit Freundinnen, Kollegen, Seelsorgerinnen, Therapeutinnen. Du bist nicht dafür verantwortlich, jemanden „zu retten“. Du bist eingeladen, da zu sein und Wege zur Hilfe zu öffnen. Die Last trägst du nicht allein.
Elia steht irgendwann wieder auf. Nicht, weil jemand ihn überredet hätte – sondern weil Gott ihn stärkt, Schritt für Schritt. Brot, Wasser, Schlaf, ein sanfter Auftrag. So schlicht kann Rettung beginnen.
Herr, du kennst unsere Nächte.
Nimm die Enge aus den Herzen, die nicht mehr können.
Schenk Mut, um Hilfe zu bitten.
Gib uns offene Augen, leise Worte und geduldige Liebe.
Zeig uns heute, wem wir beistehen sollen.
Halte uns – auch wenn wir dich kaum spüren.
Amen!
