
Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser,
nicht jeder Gedenktag ist sofort präsent im Kalender oder Herzen – und doch gibt es solche, die tief gehen. Am 28. Dezember gedenken Christinnen und Christen seit Jahrhunderten den „unschuldigen Kindern von Bethlehem“. Auch wenn dieses Fest vor allem in der katholischen Kirche begangen wird – wie etwa auf der österreichischen Seite mildioz.at erläutert –, ist es ein Gedenktag, der auch uns evangelischen Christinnen und Christen viel zu sagen hat. Denn es geht um etwas zutiefst Menschliches und zugleich Geistliches: das Erinnern an das Leid der Kleinsten und das Fragen nach Gottes Nähe inmitten von Gewalt.
Die biblische Grundlage ist uns überliefert im Matthäusevangelium. Dort heißt es:
„Da wurde Herodes sehr zornig, als er sah, dass er von den Weisen betrogen worden war. Und er schickte seine Leute aus und ließ alle Knaben in Bethlehem und in der ganzen Gegend, die zwei Jahre alt und jünger waren, umbringen.“
Matthäus 2,16

Was für eine brutale Geschichte, eingebettet mitten in die Weihnachtsbotschaft von Licht und Hoffnung. Und doch ist sie realistisch. Denn die Geburt Jesu geschieht nicht in einer perfekten Welt, sondern in einer zerrissenen.
Was genau damals passiert ist, bleibt im Dunkeln. Historisch ist dieser Kindermord nicht durch außerbiblische Quellen belegt. Und doch passt er sehr wohl ins Bild des grausamen und machtbesessenen Königs Herodes, wie er auch aus anderen Quellen bekannt ist. Die katholische Diözese Graz-Seckau schreibt auf ihrer Webseite, dass „die Zahl der getöteten Kinder nicht bekannt“ ist – ebenso wie die Namen dieser Kinder. Es gibt keine Gedenktafel in Bethlehem, keine Liste der Opfer. Nur das Erinnern der Kirche hält sie lebendig.
„Sie hatten keine Stimme, keine Namen, keine Chance.“ So drückt es der Beitrag von mildioz.at eindringlich aus. Diese Kinder sterben, weil ein König Angst hat – Angst, seine Macht zu verlieren. Und sie sterben, obwohl sie gar nichts davon wissen. Es sind die ersten Märtyrer für Christus – noch vor seinem öffentlichen Auftreten, seinem Wirken, seinem Tod.
Und dieses Gedenken fordert uns heraus.
Denn die Frage steht im Raum: Was ist mit den Kindern heute? Denen, die keine Stimme haben? Was ist mit den unschuldigen Kindern in den Kriegen unserer Zeit? In Gaza, in der Ukraine, in Flüchtlingslagern, in deutschen Haushalten, in denen Gewalt herrscht? Auch heute sterben Kinder. Auch heute schweigen viele. Auch heute sind Macht, Angst und Gleichgültigkeit tödlich.
Doch Jesus selbst stellt die Kinder ins Zentrum seines Denkens – nicht nur als Opfer, sondern als Vorbilder des Glaubens:
„Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes.“
Markus 10,14

Was für eine Gegenbewegung zur Gewalt des Herodes! Während Herodes das Kind fürchtet, nimmt Jesus die Kinder in die Arme. Während Herodes zerstört, baut Jesus auf das Vertrauen und die Offenheit der Kleinsten.
Es ist eine Einladung, diesen Tag nicht nur als historische Erinnerung zu begehen, sondern als Ruf zur Verantwortung. Wo schützen wir Kinder? Wo hören wir ihre Stimmen? Wo setzen wir uns ein – auch gegen Bequemlichkeit, wenn es unbequem wird?
Eine Geschichte dazu habe ich in einem Artikel über die Heilsarmee gelesen: In einem Stadtteil Londons war eine Familie bekannt, deren Kinder nie zur Schule kamen, oft hungrig waren und stets verwahrlost wirkten. Keiner wollte sich einmischen. Bis eine Frau von der Heilsarmee eines Tages an der Tür klingelte – einfach nur mit einem Teller Suppe. Aus dem Teller Suppe wurde ein Gespräch. Aus dem Gespräch wurde Hilfe. Und aus der Hilfe wurde eine Veränderung.

Es beginnt oft mit kleinen Dingen. Mit einem Teller Suppe. Mit einem Gespräch. Mit einem Erinnern.
Auch das ist eine Form des Gedenkens an die unschuldigen Kinder von Bethlehem – nicht, um in Trauer zu versinken, sondern um Hoffnung und Schutz weiterzugeben. Im Namen dessen, der selbst ein verletzliches Kind war.
Gott, du Hüter der Schwachen,
wir gedenken der Kinder von Bethlehem – unbekannt, namenlos, und doch in deinem Herzen.
Wir bitten dich für alle Kinder heute, die bedroht sind: durch Krieg, Hunger, Gewalt oder Gleichgültigkeit.
Gib uns offene Augen, ein mutiges Herz und Hände, die handeln.
Bewahre uns davor, das Leid der Kleinsten zu übersehen.
Und stärke unseren Glauben an dich – der du selbst ein Kind geworden bist.
Amen!
