Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörer und Hörer,
heute ist der vierte Sonntag nach Trinitatis – und gleichzeitig wird in vielen Kirchen das Mitfest der zwölf Apostel gefeiert. Das ist mehr als ein alter Kalendervermerk. Es ist eine Einladung, neu darüber nachzudenken, was es heißt, „gesandt“ zu sein – von Gott, zu den Menschen, mitten ins Leben hinein. Apostel – das sind ja nicht nur Figuren in Kirchenfenstern oder auf Gemälden. Es sind Menschen wie du und ich, mit Ecken und Kanten, mit Zweifeln und Schwächen. Und doch: Gott traut ihnen – und uns – etwas zu. Große Dinge sogar.
Jesus selbst spricht diesen Auftrag ganz konkret aus:
„Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“
Johannes 20,21
Wer waren eigentlich diese zwölf Männer, die Jesus da losschickt? Die Bibel nennt sie in mehreren Listen – in Matthäus 10, Markus 3, Lukas 6 und Apostelgeschichte 1. Die Reihenfolge variiert, aber ein paar Dinge sind immer gleich. Simon Petrus steht immer an erster Stelle – der Impulsive, der Jesus später verleugnet und doch einer der wichtigsten wird. Dann sein Bruder Andreas, der stille Einlader. Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und sein Bruder Johannes – zwei „Donnersöhne“, die mal Feuer vom Himmel holen wollten. Philippus, der einen Freund zu Jesus bringt. Bartholomäus, oft mit Nathanael gleichgesetzt, von dem Jesus sagt: „In ihm ist kein Falsch.“ Thomas – bekannt geworden als der „Zweifler“, aber eigentlich jemand, der nur ehrlich fragt. Matthäus, der Zöllner, also jemand, der mit den Römern kooperierte – das war nicht beliebt. Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus, über die wir kaum etwas wissen. Simon der Kananäer, vermutlich ein Freiheitskämpfer. Und schließlich Judas Iskariot – der Jesus verriet und später daran zerbrach.
Was für eine Mischung! Fischer, Zöllner, politische Aktivisten, ruhige Typen, Choleriker. Freunde und Fremde. Begeisterte und Skeptiker. Jesus hat keine fromme Elite gewählt. Sondern Menschen wie du und ich – mit Vergangenheit, mit Charakter, mit Kanten. Und genau darin liegt die Kraft dieser Berufung.
Die Zwölf, an die wir heute besonders denken, haben das sehr verschieden gelebt. Petrus, der Draufgänger mit dem großen Herzen. Thomas, der Zweifler. Matthäus, der ehemalige Steuereintreiber. Sie alle tragen ihre Geschichte mit sich. Und Gott nutzt genau diese Geschichten, um seine Geschichte weiterzuerzählen. Auch das sagt dieser Tag: Nicht Perfekte werden gesandt, sondern Menschen mit Vergangenheit, mit Brüchen und Lernprozessen.
Jesus war da radikal realistisch – und gleichzeitig voller Vertrauen:
„Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“
Matthäus 10,16
Das klingt auf den ersten Blick eher düster. Aber es ist ehrlich. Wer dem Guten dienen will, wer aufrichtet, wo andere zerstören, wer sich einsetzt für das Schwache, der wird auch Gegenwind erleben. Das war bei den Aposteln so – und das gilt bis heute. Gerade wenn wir in eine Welt schauen, in der Lautstärke oft mehr zählt als Liebe und Macht wichtiger scheint als Mitgefühl. Jesus verheißt nicht, dass es leicht wird – aber er verheißt, dass er mitgeht.
Der Apostel Paulus schreibt später an die Gemeinde in Korinth:
„Wir sind Boten an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns.“
2. Korinther 5,20
Diese Worte tragen Gewicht. Und sie geben Würde. Wer im Geist Christi lebt, ist nicht einfach nur jemand, der irgendwie versucht, gut zu sein. Sondern jemand, der ein Echo des Himmels ist – mitten im Alltag, bei der Arbeit, im Streitgespräch, im Trost für Freundinnen und Freunde. Die Apostel sind nicht nur Vergangenheit. Sie sind Vorbild. Und sie sind Vorläufer für das, was auch wir sein dürfen: lebendige Briefe Gottes an diese Welt.

Ich habe vor kurzem eine Geschichte gelesen, die mich nicht mehr loslässt. In einem Krankenhaus in Palermo arbeitet ein älterer Pfleger, Signore Paolo. Er ist kein Arzt, keine Pflegeleitung. Aber alle nennen ihn „den Apostel des Flurs“. Warum? Weil er nicht nur seine Arbeit tut, sondern weil er mit jedem Menschen redet, zuhört, segnet – ohne viele Worte, aber mit viel Herz. Als einmal ein junger Mann nach einem Selbstmordversuch eingeliefert wurde, blieb Paolo die ganze Nacht bei ihm sitzen. „Warum?“, fragte man ihn. „Weil ich vielleicht der Einzige bin, der in diesem Moment zeigen kann: Du bist nicht vergessen.“ Das ist Sendung. Das ist Nachfolge. Das ist Aposteltum im 21. Jahrhundert.
Natürlich – wir sind nicht alle Pfleger in Palermo. Aber wir stehen alle in Situationen, in denen unser Zuhören, unser Dableiben, unser Aufstehen einen Unterschied machen kann. Vielleicht geht es heute nicht darum, die Welt zu verändern. Aber vielleicht geht es darum, für einen Menschen die Welt ein bisschen heller zu machen.

Der vierte Sonntag nach Trinitatis ist einer der „leiseren“ Sonntage im Kirchenjahr. Kein großes Fest, keine spektakuläre Geschichte. Aber genau darin liegt eine Chance. Der Glaube lebt nicht nur von Höhepunkten. Er lebt im Alltag, im treuen Dasein, im stillen Zeugnis. Die Apostel wurden nicht an Feiertagen gesandt – sondern mitten in den Lärm und die Brüche ihrer Zeit.
So gilt auch uns heute dieser Zuspruch:
„Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn ernstlich anrufen.“
Psalm 145,18
Die Zwölf Apostel, an die wir heute denken, waren keine Übermenschen. Aber sie haben sich rufen lassen. Und sie haben ihr Leben nicht festgehalten, sondern hingegeben. Wir müssen ihnen nicht gleich alles nachtun – aber wir können ihren Mut teilen: zu leben, zu lieben, zu glauben, zu gehen. Gesandt – nicht irgendwohin. Sondern genau dahin, wo wir heute sind.
Gott, sende auch uns in deinen Dienst – mit offenen Augen, mit wachen Herzen, mit der Kraft deiner Liebe.
Lass uns dort Boten deines Friedens sein, wo Unruhe herrscht.
Lass uns Hoffnung bringen, wo Verzweiflung wohnt.
Und sei du unsere Stärke, wenn wir an unsere Grenzen kommen.
Amen!

Pingback: 670 – Miteinander statt Gegeneinander – KI-Andacht.de