Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser,
es gibt Verse in der Bibel, die treffen uns wie ein Blitz, gerade weil sie so einfach und doch so schwer sind. Heute geht es um einen solchen Satz. Er stammt aus dem Römerbrief des Paulus – und er könnte nicht aktueller sein. Ein einziger Satz – und darin liegt ein ganzes Lebensprogramm. Ein Vers für unseren Alltag, aber auch für die ganz großen Konflikte unserer Welt:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“
Römer 12,21
Ein Blick nach Israel lässt diesen Vers nicht als schöne Idee erscheinen, sondern als harten Prüfstein. Immer wieder ist dieses Land geprägt von Gewalt, Angst, Rache und unvorstellbarem Leid auf allen Seiten. Menschen verlieren ihre Angehörigen, Familien werden auseinandergerissen, Kinder wachsen auf mit dem Klang von Sirenen. In diesen Tagen, in denen politische Konflikte, militärische Eskalationen und tiefe Wunden das Bild bestimmen, stellt sich eine Frage: Ist es überhaupt möglich, dem Bösen nicht nachzugeben? Und wie soll man inmitten von Hass und Schmerz noch das Gute suchen?
Und doch – gerade jetzt ist dieser Vers ein leuchtendes Zeichen. Nicht als billiger Trost, nicht als moralische Belehrung, sondern als Einladung zu einem anderen Weg. Paulus schreibt diesen Satz nicht aus einer kuscheligen Komfortzone, sondern als jemand, der selbst verfolgt wurde. Er weiß, wovon er spricht. Er kennt das Böse. Und er glaubt trotzdem – oder gerade deswegen – an die Kraft des Guten.

In der Umgebung Jerusalems gibt es eine kleine Initiative, die trotz aller politischen Spannungen israelische und palästinensische Frauen zusammenbringt. Sie backen gemeinsam Brot. Einmal pro Woche treffen sie sich in einem neutralen Dorf, weit weg von Kameras und Schlagzeilen. Keine Politik, kein Streit – nur das einfache, gemeinsame Tun. Brot backen. Zuhören. Erzählen. Manchmal lachen sie, manchmal weinen sie zusammen. Sie sagen: „Wir wollen nicht länger nur Opfer und Feinde sein. Wir wollen Menschen sein.“
Diese Frauen leben, was Paulus schreibt. Sie lassen sich nicht vom Bösen überwältigen – auch wenn das Böse an ihren Türen klopft. Sie antworten mit dem, was sie können. Mit Geduld. Mit Nähe. Mit Teig und Hitze und Gemeinschaft. Ist das naiv? Vielleicht. Aber es ist mutiger als jeder Vergeltungsschlag. Es ist Glaube in seiner praktischsten Form. Und ein Vorbild.
Auch wir kennen unsere Konflikte. Keine Raketen, keine Straßensperren. Aber auch wir erleben Verletzungen, Vorurteile, bitter gewordene Beziehungen. Und vielleicht fragen wir uns auch: Wie soll ich vergeben, wenn der Schmerz noch so frisch ist? Wie soll ich freundlich bleiben, wenn mir jemand nur Spott entgegenbringt?

Paulus schlägt keine schnellen Lösungen vor. Aber er sagt: Du hast die Wahl. Du kannst dich entscheiden. Und du bist nicht allein dabei.
Schauen wir auf Jesus. Er selbst hat das Böse nicht mit Gegengewalt bekämpft. Er ließ sich schlagen, verspotten, töten – und antwortete mit Vergebung. Das Kreuz ist das tiefste Zeichen dieses Verses: Das Böse wird nicht besiegt durch neue Macht, sondern durch die Macht der Liebe.
In Römer 12 gibt es noch mehr solcher Verse, die diesen Gedanken weiter entfalten:
„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.“
Römer 12,17
„Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“
Römer 12,18
„Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.“
Römer 12,19
Diese Worte sind keine Flucht vor Verantwortung. Im Gegenteil: Sie fordern uns heraus. Sie sagen uns: Du kannst Teil der Lösung sein. Und sei es nur durch ein Lächeln, ein offenes Wort, ein Nein zur Häme, ein Ja zur Versöhnung.

Vielleicht bist du gerade heute mit einer Situation konfrontiert, die dich reizt, zu explodieren. Vielleicht hat dir jemand Unrecht getan. Vielleicht fühlst du dich angegriffen, übergangen, schlecht behandelt. Dann erinnere dich an diesen Satz. Und wähle bewusst einen anderen Weg. Nicht, weil du schwach bist – sondern weil du stark genug bist, Gutes zu tun.
Und wenn du das Gefühl hast, du schaffst das nicht – dann bete. Bitte Gott um die Kraft dazu. Paulus schreibt diese Worte auch deshalb, weil er weiß: Wir müssen es nicht alleine schaffen. Gott ist an unserer Seite. Und er hilft uns, wenn wir ihn darum bitten.
Gott, du kennst unsere Herzen.
Du weißt, wie schwer es ist, das Böse nicht in uns wachsen zu lassen.
Schenk uns den Mut, gut zu bleiben, wo andere hart werden. Gib uns den Willen, Frieden zu suchen, wo Krieg herrscht.
Stärke alle, die in Israel, im Palästinensischen Autonomiegebiet, in allen Krisen dieser Welt das Gute nicht aufgeben.
Und hilf uns, auch in unserem Alltag deine Liebe weiterzugeben.
Amen!
