Liebe Leserinnen und liebe Hörer,
heute, am 17. Oktober, ist der Internationale Tag zur Beseitigung der Armut. Ein globaler Aktionstag, eingeführt von den Vereinten Nationen, um auf die Ungleichheit in unserer Welt aufmerksam zu machen. Doch das Thema ist älter als jede moderne Organisation – es zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Jesus selbst hatte einen besonderen Blick für die Armen, Ausgegrenzten und Vergessenen. Und dieser Blick hat Kraft. Er verändert nicht nur die Welt derer, die in Not sind – er verändert auch uns.
Jesus sagte einmal:
„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“
Matthäus 25,40
Diese Worte stammen aus einer der eindrücklichsten Reden Jesu: dem Gleichnis vom Weltgericht. Menschen werden getrennt wie Schafe und Böcke – nicht nach Glaubensbekenntnissen oder frommen Worten, sondern nach gelebter Nächstenliebe. Nach Taten.
Es ist eine große Herausforderung: Jesus identifiziert sich nicht mit den Reichen oder Einflussreichen, sondern mit den Hungrigen, den Obdachlosen, den Kranken, den Gefangenen. Er stellt unsere Werte auf den Kopf. Wer als „arm“ gilt, ist in seinen Augen reich an Würde. Und wer viel besitzt, steht in der Gefahr, den Blick für den anderen zu verlieren.
In einem anderen Abschnitt heißt es:
„Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer.“
Lukas 6,20
In der Bergpredigt nach Lukas spricht Jesus die Armen direkt an. Er vertröstet sie nicht auf ein fernes Jenseits – er spricht ihnen schon jetzt das Reich Gottes zu. Sie gehören dazu, sie sind nicht am Rand, sondern im Zentrum der göttlichen Aufmerksamkeit. Es ist wie ein göttliches Umdenken: Nicht die Selbstsicheren, sondern die Bedürftigen stehen im Fokus.
Doch das alles wäre reine Theorie, wenn es uns nicht auch in Bewegung bringen würde. Christsein heißt nicht nur beten und glauben – sondern handeln. Und dabei geht es nicht nur um den Euro, den wir geben, sondern auch um Strukturen, die wir hinterfragen.
Dietrich Bonhoeffer sagte einmal:
„Es reicht nicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Man muss dem Rad selbst in die Speichen greifen.“
Dietrich Bonhoeffer, Brief an R. O. Witte, Juli 1933 zitiert nach EKD über Bonhoeffer
Die Armut in unserer Welt ist nicht nur Schicksal. Sie hat oft Ursachen: ungerechte Wirtschaftssysteme, fehlender Zugang zu Bildung, politische Korruption, Ausbeutung. Als Christinnen und Christen sind wir gerufen, nicht nur zu helfen, wo es brennt – sondern auch mitzubauen an einer gerechteren Ordnung. Vielleicht ist das unbequemer, aber es ist auch wirksamer.

Ein Beispiel aus der Gegenwart: Die Initiative „Tafel“ in Deutschland verteilt Lebensmittel an Bedürftige – und das ist großartig. Doch zugleich stellen sich viele Aktive dort die Frage: Warum gibt es in einem reichen Land überhaupt Menschen, die nicht genug zu essen haben? Warum müssen Rentnerinnen nach Ladenschluss Brot holen, weil ihre Rente nicht reicht?

Jesus hat uns keinen einfachen Weg versprochen, aber einen klaren:
„Verkauft, was ihr habt, und gebt Almosen. Macht euch Beutel, die nicht veralten, einen Schatz, der niemals abnimmt, im Himmel, wo kein Dieb hinkommt und keine Motte zerstört.“
Lukas 12,33
Natürlich geht es nicht darum, alles sofort zu verschenken. Aber es geht um eine Herzenshaltung. Um die Bereitschaft zu teilen, abzugeben, sich einzusetzen. Um das Loslassen von der Vorstellung, dass Besitz Sicherheit bedeutet. Und um die tiefe Einsicht, dass unsere wahre Sicherheit in der Liebe Gottes liegt – und im Miteinander.

Armut ist nicht nur ein Problem der „anderen“. Sie beginnt manchmal direkt nebenan. Im Wohnblock, in der Schule, in der eigenen Gemeinde. Der erste Schritt beginnt oft mit dem Hinsehen.
Gott, öffne unsere Augen für die Not um uns herum.
Mach unsere Herzen weich für die, die arm sind – materiell und seelisch.
Gib uns Mut, nicht nur zu helfen, sondern auch zu hinterfragen.
Lass uns erkennen, dass wir dir begegnen in den Geringsten.
Hilf uns, zu teilen, zu tragen, zu verändern.
Amen!
