Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser,
Gerechtigkeit – ein großes Wort. Ein Wort, das oft laut wird, wenn es um andere geht, und manchmal ganz leise bleibt, wenn es um uns selbst geht. Am 17. Juli wird der Internationale Tag der Gerechtigkeit begangen. Er erinnert an das Römische Statut, das 1998 unterzeichnet wurde und den Internationalen Strafgerichtshof begründete. Ein Tag, der an die großen Fragen erinnert: Wie geht gerechtes Handeln? Wie sieht eine gerechte Welt aus? Und was hat das mit Gott zu tun?

Viele denken bei Gerechtigkeit an Regeln, Gesetze, Paragrafen. Aber die Bibel spricht oft von einer anderen Art von Gerechtigkeit – einer, die nicht nur auf dem Papier steht, sondern im Herzen beginnt.
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
Micha 6,8
Diese Worte sind wie ein Kompass. Gerechtigkeit bedeutet in der Bibel nicht bloß Strafe und Ausgleich, sondern Beziehung. Gerechtigkeit bedeutet: den anderen sehen, seine Not wahrnehmen, Verantwortung übernehmen. Und es bedeutet, sich nicht selbst zum Maßstab zu machen.
Im Neuen Testament wird dieses Denken radikal weitergeführt. Da sagt Jesus in der Bergpredigt:
„Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“
Matthäus 5,6
Hunger und Durst sind starke Bilder. Sie sagen: Wer sich wirklich nach Gerechtigkeit sehnt, der lässt sich nicht abspeisen mit schnellen Erklärungen. Der hält aus. Der will nicht nur Gerechtigkeit für sich, sondern auch für andere. Es geht hier um ein tiefes Bedürfnis – nicht um Moral, sondern um eine Sehnsucht.
Und dann stellt Jesus alles noch einmal auf den Kopf:
„Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“
Matthäus 5,20
Das klingt hart. Doch Jesus meint: Es reicht nicht, Gesetze einzuhalten und dabei das Herz kalt zu lassen. Es reicht nicht, auf der richtigen Seite zu stehen, wenn man gleichzeitig den Menschen daneben übersieht. Gerechtigkeit ist mehr als Korrektheit. Sie ist gelebte Liebe.
In den Psalmen lesen wir:
„Gerechtigkeit und Recht sind deines Thrones Stütze, Güte und Treue gehen vor deinem Angesicht her.“
Psalm 89,15
Das ist ein starkes Bild: Gottes Thron steht auf Recht und Gerechtigkeit. Das heißt: Wo Gott herrscht, da ist kein Platz für Willkür. Kein Platz für Machtmissbrauch. Kein Platz für Schweigen, wenn andere leiden. Und das betrifft uns heute mehr denn je – in einer Welt, in der Menschen vor Gericht gezogen werden, aber andere unbehelligt bleiben. In der wirtschaftliche Macht oft mehr zählt als menschliches Leid. Und in der so viele den Glauben an Gerechtigkeit verlieren.
Ich habe kürzlich von einem Fall gelesen, der mich nicht mehr loslässt: Eine Frau aus dem Kongo, Opfer eines bewaffneten Überfalls, sagte vor dem Internationalen Strafgerichtshof aus. Es war Jahre später. Und sie sagte: „Ich weiß nicht, ob er bestraft wird. Aber ich weiß, dass ich gesehen wurde. Das allein ist schon Gerechtigkeit.“ Diese Worte sind stark. Sie zeigen: Gerechtigkeit ist nicht nur Strafe. Gerechtigkeit ist auch Anerkennung, Würde, Wahrheit. Es geht darum, dass Menschen gesehen werden – in ihrer Verletzung, aber auch in ihrer Stärke.

Und genau hier kommt der Glaube ins Spiel. Denn Gott sieht. Gott hört. Gott bleibt nicht stumm, wo Unrecht geschieht. Er ist kein ferner Zuschauer, sondern ein Mitgehender. Und wenn wir ihm folgen wollen, dann reicht es nicht, uns mit dem Unrecht abzufinden.
Paulus schreibt:
„Seht zu, dass keiner Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach füreinander und für jedermann.“
1. Thessalonicher 5,15
Das ist vielleicht der schwerste Teil: dass wir Böses nicht mit Bösem beantworten sollen. Gerechtigkeit beginnt also nicht mit der Forderung an den Staat oder das System – sie beginnt bei uns. In unseren Reaktionen. In unserem Einsatz. In unserem Schweigen – oder eben: in unserem Wort zur richtigen Zeit.

Manchmal sieht man in den sozialen Netzwerken ein Bild: Eine Waage, die auf einer Seite ein schweres Herz trägt und auf der anderen eine Feder. Darunter steht: „Das Herz wiegt mehr als die Worte.“ Ich glaube, das stimmt. Und ich glaube auch: Gottes Gerechtigkeit hat ein Herz.
Gerechtigkeit, wie Gott sie meint, ist kein kaltes Urteil. Es ist ein lebendiges Verhältnis. Ein Ruf zur Verantwortung, aber auch eine Einladung zur Hoffnung. Denn wer sich für Gerechtigkeit einsetzt, der tut Gottes Werk – mitten in einer oft ungerechten Welt.
Gott, du siehst, was Menschen einander antun.
Du hörst das Schweigen, das schreit, und die Stimmen, die nicht gehört werden.
Mach uns mutig, aufzustehen für das, was richtig ist – nicht erst, wenn es bequem wird, sondern gerade dann, wenn es Kraft kostet.
Gib uns ein Herz für deine Gerechtigkeit – nicht um zu richten, sondern um aufzurichten.
Amen!
