Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser,
wer am 22. Juli in den liturgischen Kalender schaut, findet dort den Namen Maria Magdalena. Eine Frau, deren Geschichte es in sich hat – und die bis heute fasziniert. Für viele gilt sie als Symbol für Neuanfang, Befreiung, für radikale Veränderung. Doch was steckt eigentlich dahinter? Und was hat das mit uns zu tun – mit unserem Alltag, mit unserer Sehnsucht nach Freiheit und unserem Ringen mit Schuld, Scham oder inneren Fesseln?
Maria Magdalena war keine einfache Begleitfigur in der Jesus-Geschichte. Sie war – und das sagt viel – die Erste, der der auferstandene Christus erscheint. Vorher aber war sie vor allem eines: geplagt, gezeichnet, verletzt – und befreit.
„Und einige Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten: Maria, genannt Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren.“
Lukas 8,2
Sieben Dämonen. Das klingt dramatisch. Und ja, wahrscheinlich war es das auch. Doch wer Dämonen nur mit Horrorfilmen oder mystischem Hokuspokus verbindet, der verpasst, was in diesem Satz steckt. Denn Dämonen stehen auch für alles, was uns im Griff haben kann: Angst, Bitterkeit, Gier, Schuld, Scham, Selbsthass, Verzweiflung. Sie stehen für das, was uns lähmt, was unsere Gedanken bestimmt, unsere Hoffnung erstickt. Maria Magdalena war eine Frau, die darunter litt – und die Jesus befreite.
Das ist kein Märchen. Das ist ein Evangelium. Eine gute Nachricht für alle, die sich gefangen fühlen. In Süchten. In Erwartungen. In alten Geschichten, die man nicht abschütteln kann. In Rollen, die man spielen muss. In Trauer, die nicht weichen will.
Maria wird nicht befreit, weil sie besonders stark glaubt. Oder besonders gut ist. Sondern weil Jesus sie sieht. Und handelt. Ohne Bewerbungsgespräch. Ohne Leistung. Einfach so. Weil er kann. Und weil er will.
Später ist es dieselbe Maria, die am Ostermorgen am Grab weint. Verzweifelt. Alle Hoffnung begraben. Doch sie bleibt – und erlebt das Unglaubliche:
„Jesus spricht zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni! – das heißt: Meister.“
Johannes 20,16
Ein Name reicht. Ein Wort. Und alles wird anders. Die, die Dämonen in sich trug, wird zur ersten Zeugin der Auferstehung. Die Verzweifelte wird zur Botenläuferin des neuen Lebens. Das ist mehr als eine schöne Geschichte. Das ist die Einladung, selbst neu zu hören. Ob Gott uns ruft. Ob er vielleicht auch zu uns sagt: Du. Ja, du. Ich sehe dich. Du bist frei.
Oft versuchen wir, unser Leben zu kontrollieren. Unsere Vergangenheit zu verstecken. Unsere Schwächen zu überspielen. Doch Maria Magdalena macht Mut, genau das nicht zu tun. Sondern ehrlich zu sein. Und zuzulassen, dass Gott auch die dunklen Seiten sieht. Und uns gerade dort berührt.
Ich habe einmal von einer Frau gelesen, die viele Jahre an einer Essstörung litt. Jahrelang Therapie, Rückfälle, Scham. Sie sagte in einem Interview: „Ich hatte immer das Gefühl, ich muss erst heil sein, damit ich Gott begegnen darf. Heute weiß ich: Genau umgekehrt ist es. Ich darf zu Gott kommen, damit ich heil werden kann.“

Das ist genau der Kern von Maria Magdalenas Geschichte. Nicht: „Du musst dich ändern, damit Gott dich liebt.“ Sondern: „Gott liebt dich – und deshalb wirst du verändert.“
In der Tradition der frühen Kirche wurde Maria Magdalena oft als „Apostelin der Apostel“ bezeichnet. Nicht, weil sie predigte oder Gemeinden gründete. Sondern weil sie das Entscheidende weitergab: Hoffnung. Die Nachricht, dass das Grab leer ist. Dass die Nacht nicht das letzte Wort hat. Dass Leben neu beginnen kann.
Vielleicht ist genau das heute dran. Loslassen, was uns kaputtmacht. Jesus sagen, was uns lähmt. Und neu hören: „Du bist frei.“

Denn es ist derselbe Jesus, der gestern Maria Magdalena beim Namen rief – und heute uns. Egal, wie viele Dämonen wir im Gepäck haben. Sie sind kein Hindernis für seine Liebe. Im Gegenteil. Oft sind sie der Anfang.
Jesus, du kennst mich.
Du weißt, was mich festhält, lähmt, bedrückt.
Sprich meinen Namen.
Lass mich neu hören, was du in mir siehst. Schenk mir Mut, loszulassen.
Und Freiheit, zu leben.
Amen!
