Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer,
Deutschland verändert sich. Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen leben heute hier. Manche sind schon lange Teil unserer Gesellschaft, andere kamen erst vor kurzem – geflüchtet, vertrieben, eingeladen oder einfach auf der Suche nach einem besseren Leben. Und während die einen sagen: „Das ist eine Bereicherung!“, spüren andere: „Das wird mir zu viel.“ Genau das zeigt auch die aktuelle Studie der Robert-Bosch-Stiftung: Immer weniger Menschen in Deutschland empfinden Vielfalt als etwas Gutes – besonders dann, wenn sie mit Migration oder anderen kulturellen Hintergründen zu tun hat.
Dabei müsste doch gerade der christliche Glaube uns zu einem anderen Umgang miteinander führen.
„Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“
Galater 6,2
Das Gesetz Christi – das ist nicht die Liste von Verboten und Vorschriften. Das ist das Gebot der Liebe. Wenn wir die Lasten anderer mittragen – auch die Sprachhürden, die Orientierungslosigkeit, die Angst um Familien, die sie vielleicht zurücklassen mussten –, dann handeln wir christlich. Dann sind wir mitten in dem, was Jesus uns aufgetragen hat.

Natürlich ist es manchmal anstrengend. Wenn der Nachbar lauter feiert, weil er es so kennt. Wenn Kinder in der Schule Deutsch erst lernen müssen. Wenn man plötzlich Dolmetscher braucht, wo man früher einfach nur geredet hat. Ja – Vielfalt macht Mühe. Aber sie macht auch reicher.
„Der Fremdling, der bei euch wohnt, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland.“
3. Mose 19,34
Gott erinnert sein Volk daran, wie es sich anfühlt, fremd zu sein. Und er zieht daraus einen Auftrag: Wer einmal selbst fremd war – und seien es nur innere Entwurzelungen –, soll sich nicht über andere stellen. Nicht verächtlich auf sie herabblicken. Sondern offen, einladend, menschenfreundlich leben.

Es gibt eine Geschichte aus einem kleinen Ort in Nordhessen. Dort war eine syrische Familie zugezogen – eher still, etwas scheu. Der Vater, früher Arzt, arbeitete als Reinigungskraft, weil sein Abschluss hier nicht anerkannt wurde. Die Mutter sprach kaum Deutsch, der Sohn hatte Angst in die Schule zu gehen. Eines Tages stand eine ältere deutsche Frau vor der Tür. In der Hand: ein Apfelkuchen. Ohne große Worte, nur mit einem Lächeln. Es war der Anfang einer Nachbarschaft, die sich später zu einer Freundschaft entwickelte. Zwei Kulturen, ein Flur, ein Alltag. Kein großes politisches Programm – nur Menschlichkeit.
Jesus hat oft genau so gehandelt. Nicht ideologisch, sondern menschlich. Immer da, wo Menschen übersehen, abgelehnt oder angefeindet wurden, war er besonders nah.
„Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“
Matthäus 25,35
Das sagt Jesus im Gleichnis vom Weltgericht. Und er meint damit nicht irgendein großes religiöses Werk, sondern ganz alltägliche Taten: jemanden aufnehmen, jemandem zuhören, jemandem das Gefühl geben, nicht allein zu sein.

Unser Land wird sich weiter verändern. Und wir mit ihm. Die entscheidende Frage ist: Wollen wir mit verschränkten Armen zusehen – oder mit offenen Herzen mitgestalten?
Es gibt keine christliche Identität ohne gelebte Nächstenliebe. Wir glauben an einen Gott, der sich in Jesus ganz auf den Menschen eingelassen hat – mit Haut und Haaren, mit Sprache und Schmerz, mit Freude und Tränen. Und gerade deshalb können auch wir Menschen mit anderen Geschichten, Sprachen und Gewohnheiten willkommen heißen.
Vielleicht müssen wir nicht alles verstehen. Aber wir können anfangen, zuzuhören. Vielleicht müssen wir nicht alles teilen. Aber wir können teilen, was wir haben: Respekt. Zeit. Ein Lächeln. Oder – wie im Fall der hessischen Nachbarin – einen Apfelkuchen.
Gott, du hast jeden Menschen nach deinem Bild geschaffen.
Du liebst nicht nur die, die so sind wie wir.
Du liebst alle. Öffne unsere Herzen für die, die neu in unser Leben treten.
Nimm uns die Angst vor dem Unbekannten.
Und schenke uns die Kraft, deinen Weg der Liebe und Gastfreundschaft zu gehen.
Amen!
