Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörer und Hörerinnen,
es ist wieder Erntedank. Altäre werden bunt geschmückt, Obstkörbe aufgestellt, Kürbisse gestapelt und mancherorts sogar eine ganze Erntekrone gebunden. Das sieht nicht nur schön aus – es erinnert uns an etwas viel Tieferes: Danken. Ehrlich, demütig, bewusst. Und zwar nicht nur einmal im Jahr, sondern als Haltung, die das Leben verändert.
Doch wusstest du, dass das Erntedankfest in Deutschland keinen einheitlichen Termin hat? Die meisten Gemeinden feiern es am ersten Sonntag im Oktober – also heute. In katholischer Tradition ist das üblich. Evangelische Kirchen dagegen richten sich oft nach dem Sonntag nach dem Michaelistag (29. September), weshalb Erntedank auch mal im September gefeiert wird. Dieser Brauch geht bis ins Mittelalter zurück – und hat sowohl weltliche als auch geistliche Wurzeln. Damals ging es um nichts weniger als das Überleben im Winter. Wer seine Ernte eingebracht hatte, konnte aufatmen. Und danken.
Aber was bedeutet Erntedank für uns heute – wo kaum jemand noch selbst sät und erntet? Vielleicht beginnt Dankbarkeit bei etwas, das wir längst übersehen: dem täglichen Brot.
Jesus selbst macht uns darauf aufmerksam, dass es nie nur um den Magen geht. In der berühmten Szene, in der er 4000 hungrige Menschen speist, passiert etwas Entscheidendes – ganz am Anfang:
„Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, damit sie sie austeilten.“
Markus 8,6
Jesus hätte das Wunder auch einfach still vollbringen können. Aber er tut es nicht. Er unterbricht. Er dankt. Und dann erst verteilt er. Danken kommt vor dem Handeln. Was für ein Zeichen!
Der Apostel Paulus greift genau dieses Prinzip später auf, wenn er die Gemeinde in Korinth daran erinnert, dass alles, was sie geben, aus Gottes Fülle kommt. Und dass Dankbarkeit nicht still sein soll – sondern sich zeigt:
„Denn der Dienst dieses Gottesdienstes füllt nicht allein den Mangel der Heiligen aus, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott danken.“
2. Korinther 9,12
Dankbarkeit ist also nicht nur ein inneres Gefühl. Sie will nach außen. Sie will geteilt werden. Und wenn wir ehrlich sind, wissen wir: Dankbare Menschen sind anziehend. Sie machen die Welt leichter. Sie erkennen an, was sie empfangen – und halten es nicht für selbstverständlich.
Gerade heute, wo vieles selbstverständlich erscheint – Wasser aus dem Hahn, Strom aus der Steckdose, Essen im Supermarkt –, ist das Erinnern an Erntedank fast schon ein Akt des Widerstands. Gegen das Meckern. Gegen den Überfluss, der nicht mehr satt macht. Gegen das Gefühl, immer zu kurz zu kommen.

Eine Journalistin erzählte einmal in einem Interview, dass sie sich gezwungen hatte, jeden Tag drei Dinge aufzuschreiben, für die sie dankbar war. Am Anfang war es mühsam. Nach einer Woche wurde es leichter. Nach einem Monat veränderte es ihr Denken. Nicht, weil plötzlich alles gut war. Sondern weil sie die kleinen Dinge sah: Der erste Schluck Kaffee. Der Gruß vom Nachbarn. Das Lied im Radio. Der Sonnenstrahl am Morgen.
Vielleicht ist das auch heute unser Impuls: Nicht nur für volle Körbe dankbar zu sein – sondern für den ersten Apfel darin. Nicht nur für das große Wunder – sondern für den täglichen Trost, der manchmal still kommt.

Im Psalm 103 heißt es:
„Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“
Psalm 103,2
Vergiss nicht. Das ist der Schlüssel. Denn das Vergessen ist der größte Feind der Dankbarkeit. Wenn wir anfangen, zu erinnern – dann beginnen wir zu danken. Und das verändert alles. Ganz leise. Ganz tief.
Gott, du Geber aller guten Gaben,
du weißt, was wir brauchen – bevor wir es sagen.
Lehre uns, nicht zu vergessen, sondern zu erinnern.
Lehre uns, nicht zu klagen, sondern zu danken.
Und hilf uns, das, was wir empfangen, weiterzugeben.
Amen!
