Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser,
manchmal geschehen Dinge, die auf den ersten Blick nur symbolisch erscheinen – und auf den zweiten Blick eine gewaltige Kraft entfalten. So ein Moment war gestern. Zum ersten Mal seit fast 500 Jahren haben ein amtierender britischer Monarch und ein Papst gemeinsam in Rom gebetet. König Charles III., Oberhaupt der anglikanischen Kirche, traf Papst Leo XIV. – und gemeinsam standen sie in einer Kapelle des Vatikans und beteten das Vaterunser.
Ein stiller Moment, und doch ein politisches, kulturelles und geistliches Beben. Denn seit Heinrich VIII. 1534 mit Rom brach, trennten sich die Wege. Und nun, ein Gebet. Schulter an Schulter. Kein öffentliches Spektakel, sondern ein fast zärtliches Zeichen der Annäherung.
Was hat das mit uns zu tun? Eine ganze Menge. Denn was dort geschah, ist ein Bild für das, was auch in unseren Beziehungen möglich ist – in Familien, in Gemeinden, zwischen Konfessionen und Weltanschauungen. Es geht um die Bereitschaft, sich zu begegnen. Nicht mit dem Ziel, alles gleichzumachen. Sondern im Respekt vor dem Anderen – und im Vertrauen auf den, der größer ist als wir.
„Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein.“
Johannes 17,20-21
Dieses Gebet Jesu war keine naive Träumerei. Es war ein Ausdruck tiefster Sehnsucht – und gleichzeitig realistische Hoffnung. Denn Jesus wusste, dass Einheit nicht automatisch bedeutet: Alle sind sich einig. Sondern: Alle sind auf Gott ausgerichtet. Einheit in der Vielfalt – nicht Einheitsbrei.
Und dann steht da König Charles in Rom. Der Mann, der als „Supreme Governor“ die anglikanische Kirche repräsentiert – und nun mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche betet. Fast ein halbes Jahrtausend nach einer Trennung, die von Machtkämpfen, Stolz und Verletzungen geprägt war. Ein Gebet heilt nicht die Geschichte – aber es setzt einen neuen Ton.
„Ist’s möglich, so viel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“
Römer 12,18
Was Paulus sagt, ist keine moralische Anweisung, sondern eine Einladung zur Haltung. Wenn zwei Menschen beten, die historisch gesehen Gegner waren, dann liegt darin eine Lektion: Frieden beginnt nicht immer mit Verträgen. Manchmal beginnt er mit einem gemeinsamen Vaterunser.
Übrigens: Die Kirche von England hat sich 1534 unter Heinrich VIII. vom Papsttum gelöst, weil es um Scheidung, Erbfolge und Macht ging. Nicht unbedingt um theologische Differenzen. Das macht diese Geschichte umso spannender. Denn was aus Trotz geboren wurde, wird nun von einer Geste des Respekts durchbrochen. Vielleicht lehrt uns das: Wo Menschen loslassen können – Stolz, Rechthaberei, alte Verletzungen – kann Gott etwas Neues tun.


Ich habe gelesen, dass Charles sich im Gebet nicht in Szene gesetzt hat. Kein Blitzlichtgewitter, keine dramatische Rede. Einfach nur ein Gebet. Das ist vielleicht die tiefste Predigt: Wenn Worte aufhören, kann Gottes Geist anfangen.
Gott, du Freund der Versöhnten,
du Hüter des Miteinanders,
du weißt, wie oft wir uns voneinander entfernt haben.
Lass uns Menschen werden,
die aufeinander zugehen,
die nicht im Recht behalten wollen,
sondern nach deinem Willen fragen.
Schenke uns Mut für den ersten Schritt.
Und wenn wir schweigen,
dann lehre uns das gemeinsame Gebet.
Amen!
