Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser,
haben Sie heute schon ein Wunder erlebt? Vielleicht schütteln Sie gerade unwillkürlich den Kopf. Weil Sie keine Feuerzungen gesehen haben, kein Wasser sich geteilt hat, kein Engel Ihre Kaffeemaschine repariert hat. Aber sind Wunder wirklich immer laut und dramatisch?
Jesus war ein Freund der leisen Zeichen. Er hat Menschen gesehen, die keiner beachtete. Er hat gesprochen, wo andere geschwiegen hätten. Und manchmal hat er einfach gewartet, bis jemand die Augen aufgemacht hat.
Ein kleiner Abschnitt aus dem Lukasevangelium hilft uns vielleicht, neu hinzuschauen:
„Und siehe, da war ein Mensch mit Namen Zachäus, der war ein Oberzöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt.“
Lukas 19,2–3
Zachäus – der kleine Mann im Baum – wollte nur „sehen“. Und bekam das Wunder seines Lebens. Denn Jesus blieb stehen. Nahm ihn wahr. Lud sich bei ihm ein. Und veränderte damit alles. Die Szene geht noch weiter:
„Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilends herab; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilends herab und nahm ihn auf mit Freuden.“
Lukas 19,5–6

Stellen wir uns das vor: Ein Mann, gesellschaftlich verachtet, eigentlich voller Scham und Misstrauen, klettert auf einen Baum. Nur um mal zu sehen, wer dieser Jesus ist. Und dann passiert das Unerwartete: Jesus ruft ihn mit Namen. Nicht: „He, du da!“ Sondern: „Zachäus“. Persönlich. Nah. Und dann kommt Jesus nicht mit Vorwurf oder Predigt – sondern mit einer Einladung zur Tischgemeinschaft. Das Wunder ist nicht nur, dass Jesus Zachäus sieht. Es ist, dass er ihn annimmt – und damit sein ganzes Leben verändert.
Wie reagiert Zachäus? Nicht defensiv, nicht skeptisch – sondern voller Freude. Und das Wunder hat Konsequenzen: Er gibt Geld zurück, macht Wiedergutmachung, lebt neu. Nicht, weil Jesus ihn gezwungen hätte. Sondern weil echte Annahme etwas freisetzt. Das ist das Wunder im Alltag: Menschen verändern sich, wenn sie gesehen und geliebt werden.
Am Ende sagt Jesus:
„Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“
Lukas 19,9-10
Ein Mann im Baum, ein Wort Jesu, ein ganzes Leben neu. Das ist kein Märchen – das ist Evangelium. Und vielleicht sind auch wir manchmal wie Zachäus: suchend, versteckt, aber hoffnungsvoll. Und vielleicht kommt genau dann Jesus vorbei. Und sagt: Heute. Bei dir. Jetzt.
Es sind nicht immer die großen Wunder, die alles verändern. Manchmal ist es nur ein Blick. Ein Wort. Eine Begegnung. Ein Zettel mit einem Vers. Ein Mensch, der zuhört. Ein Sonnenstrahl auf deiner Hand. Und plötzlich spürst du: Ich bin gesehen. Ich bin gemeint. Ich bin nicht vergessen. Das ist das eigentliche Wunder.
Oder denken wir an das, was Jesus selbst sagt:
„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“
Johannes 20,29
Wunder sehen zu wollen ist menschlich. Aber Jesus dreht die Perspektive: Glaube sieht mehr, als das bloße Auge. Und das Alltägliche ist oft schon heilig, wenn wir es mit Gottes Brille betrachten.

Ich erinnere mich an eine Geschichte aus dem Buch „Wunder im Alltag“ von Eva-Maria Admiral. Sie erzählt von einer Frau, die im Wartezimmer einer Klinik saß – völlig aufgelöst. Ein Fremder sprach sie an, hörte einfach nur zu. Er drückte ihr am Ende einen kleinen Zettel in die Hand. Darauf stand ein Bibelvers: „Ich habe dich je und je geliebt.“ Das war kein spektakuläres Wunder. Kein Blitz vom Himmel. Aber für diese Frau war es eine Wende. Und vielleicht war dieser Mann ein „Engel in Zivil“.
Die Bibel steckt voller solcher Alltagswunder: Elia, der in der Höhle nicht Gott im Sturm begegnet, sondern im stillen Säuseln. Ruth, die aus Treue zur Schwiegermutter eine neue Heimat findet. Maria, die in einer kleinen Stadt ein Kind bekommt – das die Welt verändert. Alltagsmomente, aber mit einem göttlichen Glanz.
Warum sehen wir so oft darüber hinweg? Vielleicht, weil wir zu beschäftigt sind. Oder weil wir das Außergewöhnliche erwarten. Aber Gott ist nicht nur im Donner. Er ist auch in der Umarmung eines Kindes, im Brot auf dem Tisch, im Lächeln eines Fremden.
Ein Vers aus dem Alten Testament bringt es auf den Punkt:
„Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele.“
Psalm 23,2–3
Grüne Auen. Frisches Wasser. Keine Dramatik, sondern Fürsorge. Treue. Nähe. Es braucht ein sehendes Herz, um diese Art von Wundern zu erkennen.
Vielleicht nehmen Sie sich heute Zeit, einfach mal anders hinzuschauen. Sehen Sie das Lächeln der Verkäuferin, das Gespräch mit dem Nachbarn, den Sonnenstrahl auf Ihrem Arm. Vielleicht ist genau das Ihr heutiges Wunder.

Und wenn Sie keins finden: Bitten Sie Gott um ein sehendes Herz. Denn nicht die Augen sind das Problem – sondern oft unsere Erwartung, wie ein Wunder auszusehen hat.
Gott ist da. Auch wenn er sich nicht ankündigt. Auch wenn er keine Sirenen mitbringt. Er liebt das Kleine. Das Unauffällige. Das Verborgene. Und gerade deshalb ist er so nah.
Guter Gott,
du bist so oft leise und nah.
Hilf uns, nicht auf das Spektakuläre zu warten,
sondern das Wunder in deinem Alltagsgruß zu erkennen.
Schenk uns Augen, die sehen,
und ein Herz, das staunt.
Heute. Und morgen. Und jeden neuen Tag.
Amen!
