685 – Wenn plötzlich alles entgleist

685 – Wenn plötzlich alles entgleist

Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser,

es war ein ruhiger Sonntagabend, der plötzlich zum Albtraum wurde. Gegen 18:15 Uhr, am 27. Juli 2025, entgleiste ein Regionalzug nahe Riedlingen in Baden-Württemberg. Drei Menschen kamen ums Leben – darunter der Lokführer, ein Azubi und eine ältere Frau. Über vierzig wurden verletzt. Viele schweben noch in Lebensgefahr. Rettungskräfte sprachen von dramatischen Szenen – schweres Gerät, Hubschrauber, Tränen, Erschöpfung. Und mitten darin: Fragen, die so groß sind, dass kaum ein Wort reicht. Warum? Warum sie? Warum jetzt?

Zugentgleisung, Sora, prompted by Michael Voß
Zugentgleisung, Sora, prompted by Michael Voß

Was passiert, wenn das Leben plötzlich „entgleist“? Wenn kein Haltegriff mehr da ist und wir stürzen – innerlich wie äußerlich? Solche Momente lassen uns sprachlos zurück. Sie holen uns heraus aus dem Alltagstrott und erinnern uns daran, wie fragil unser Leben ist. Und genau dort beginnt die geistliche Frage: Was hält, wenn alles fällt?

Die Bibel kennt diese Momente. Die Psalmen sind voll davon. Einer davon klingt wie ein Stoßgebet, das auch vorgestern Abend jemand hätte sprechen können:

„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.“
Psalm 121,1-2

Es ist kein billiger Trost. Keine spirituelle Vertröstung, sondern eine uralte Wahrheit: Hilfe ist nicht immer da, wo wir sie erwarten. Sie kommt nicht aus der Technik, nicht aus der Kontrolle, nicht aus dem Fahrplan. Sondern von dem, der Himmel und Erde gemacht hat. Der größer ist als das Chaos. Und näher als unser nächster Atemzug.

Jesus selbst erlebt, was Kontrollverlust bedeutet. In einem Boot, auf einem stürmischen See, voller Angst – und er schläft. Seine Freunde schreien: „Herr, hilf, wir gehen unter!“ Und er steht auf und spricht:

„Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?“ Dann stand er auf und bedrohte den Wind und das Meer; und es entstand eine große Stille.
Matthäus 8,26

Jesus bringt keine Erklärung. Er bringt eine Gegenwart. Und das ist vielleicht der wichtigste Gedanke für diesen Tag: Wenn unser Leben entgleist, kommt Gott nicht mit einer PowerPoint-Folie und einem Erklärvideo. Sondern mit seiner Nähe. Mit seiner Gegenwart. Mit Trost. Mit Stille, da wo vorher nur Sirenen waren.

Eine Geschichte, die mich besonders berührt hat, stammt aus Garmisch-Partenkirchen. Dort entgleiste vor drei Jahren ein Zug, ähnlich wie jetzt. Eine Frau erzählte, wie sie zwischen Scherben lag und dachte: „Jetzt ist alles vorbei.“ Und dann spürte sie, wie jemand ihre Hand nahm. Ein anderer Überlebender – auch verletzt, aber lebendig. „Seine Hand hat mich durchgetragen, bis die Retter kamen“, sagte sie. Kein theologischer Vortrag, kein Trostwort. Nur eine Hand.

Frei nach DaVincis "Hände", Sora, prompted by Michael Voß
Frei nach DaVincis „Hände“, Sora, prompted by Michael Voß

Vielleicht ist das unser Auftrag als Mitmenschen, als Glaubende, als Gemeinde – gerade jetzt: Hände reichen. Für andere da sein. Nicht mit klugen Worten, sondern mit spürbarer Nähe. Ein Gebet. Ein offenes Ohr. Eine Träne, die nicht wegerklärt wird.

Im 2. Korintherbrief steht ein erstaunlicher Satz, der genau diesen Gedanken trägt:

„Gott tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir trösten können, die in allerlei Not sind – mit dem Trost, mit dem wir selbst getröstet werden von Gott.“
2. Korinther 1,4

Vielleicht können wir nicht alles verstehen. Aber wir können da sein. Für die Hinterbliebenen. Für die Einsatzkräfte. Für die Verletzten. Und vielleicht auch für uns selbst – wenn uns das Unglück nicht äußerlich trifft, aber innerlich erschüttert. Dann dürfen wir wissen: Auch uns ist die Hand gereicht. Von dem, der Himmel und Erde gemacht hat.

Trauernde, prompted by ChatGPT_online
Trauernde, prompted by ChatGPT_online

Lasst uns füreinander beten. Für alle, die betroffen sind. Und für die, die helfen. Und für uns – dass unser Glaube mehr ist als ein Ruhekissen. Sondern ein tragendes Netz, wenn alles entgleist.


Gott, du siehst die Trümmer, nicht nur die aus Stahl, sondern auch in den Herzen.

Wir bringen dir die Verletzten, die Trauernden, die, die gestern nicht heimgekommen sind.

Schenke Trost, wo Worte fehlen. Nähe, wo Einsamkeit herrscht.

Und mach uns zu Menschen, die nicht wegsehen. Mach uns bereit, da zu sein, Hände zu reichen – und deinem Trost ein Gesicht zu geben.

Amen!


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