Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer, schön, dass ihr da seid.
Manche Tage verlangen Nachsicht mit sich selbst: nicht rennen, nicht glänzen – einfach ankommen. Heute schauen wir auf ein Bild, das warm und freundlich ist: der gute Hirte. Nicht als Kitsch, sondern als Zusage: Da ist einer, der kennt deinen Namen, der geht vor dir her, der lässt dich nicht liegen, wenn’s holprig wird.
„Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Johannes 10,11
Dieses eine kurze Wort reicht oft, um die Schultern ein Stück sinken zu lassen. Der Tonfall Jesu klingt nicht nach Druck, sondern nach Nähe. Wenn Jesus sich „der gute Hirte“ nennt, geht es nicht um Leistungstabellen, sondern um Beziehung: kennen und gekannt werden, rufen und hören, gehen und geführt werden. Und ja: um Schutz – auch wenn die Landschaft steinig ist.
„Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Psalm 23,1
„Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“ Psalm 23,2
Das ist nicht die Garantie auf ein Leben ohne Gegenwind. Es ist die Zusage, dass es an dem Entscheidenden nicht fehlt: an Führung, Ruhe und dem Blick fürs Nötige. „Grüne Aue“ heißt nicht: immer Urlaub. Es heißt: Versorgung im richtigen Maß. „Frisches Wasser“ heißt nicht: jederzeit Luxus. Es ist die Kraftquelle, die dich wirklich erfrischt, wenn du auf dem Zahnfleisch gehst.
„Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln …“ Jesaja 40,11

Das ist die Bewegung Gottes: sammeln, tragen, leiten. Nicht antreiben. Nicht verheizen. Dass Gott trägt, ist kein romantischer Spruch für Kalenderblätter, sondern eine Praxis. Manchmal geschieht sie durch andere Menschen – eine Nachricht, eine Tasse Tee, ein Gespräch, das nicht gleich Lösungen rausfeuert, sondern bei dir bleibt. Manchmal spürst du es im Stillwerden: Der Atem wird tiefer, die Gedanken jagen nicht mehr, und du findest den nächsten kleinen Schritt.
Was heißt das konkret? Drei Felder, die fast jeder kennt:
1) Entscheidungen. Ein Hirte geht voraus. Das heißt nicht, dass du jeden Winkelplan bekommst. Aber oft reicht der nächste Meter. Wenn du vor einer Wahl stehst, die dich blockiert, mach sie „klein“. Stell dir zwei Fragen: „Was dient dem Leben?“ und „Wo kann ich heute in Liebe handeln?“ Wenn beides Richtung A zeigt, dann geh A. Wenn es unklar bleibt, bitte Gott um Licht für den nächsten Schritt – nicht für die nächsten hundert.
2) Erschöpfung. „Grüne Aue“ und „frisches Wasser“ sind Bilder für Pausen, die dich wirklich nähren. Nicht das zehnte Scrollen, sondern ein kurzer Gang, ein ehrlicher Satz zu einem Menschen, der dich kennt; fünf Minuten Stille mit einem einfachen Gebet: „Herr, du bist mein Hirte – führe mich jetzt.“ Es darf schlicht sein. Gott ist nicht beeindruckt von großen Reden, sondern freut sich über ehrliche Herzen.

3) Angst. Es gibt Täler. Punkt. Der Hirte verspricht nicht, sie abzuschaffen. Er verspricht: „Ich bin bei dir.“ Nähe statt Abkürzung. Wenn die Angst anschwillt, halte dich an etwas Körperliches fest: einen Stuhl, deine Hände, deinen Atem. Sprich halblaut: „Du bist bei mir.“ Nicht als Zauberspruch, sondern als Erinnerung, die sich in den Körper setzt. Und dann: einen Schritt nach dem anderen. Der Hirte treibt nicht von hinten – er geht voran. Du musst ihm nur folgen, nicht alles tragen.
Vielleicht hilft dir ein kleiner alltäglicher „Hirten-Rhythmus“: morgens drei Sätze, abends drei. Morgens: „Danke für diesen Tag. Führe mich. Lass mich hören.“ Abends: „Wo warst du spürbar? Was hat mich müde gemacht? Trage, was ich loslasse.“ Kein frommes Pflichtprogramm – eher wie den Rucksack sortieren, bevor’s losgeht.
Und wenn du dich fragst: „Wie höre ich die Stimme des Hirten?“, dann erwarte keinen Donner. Oft klingt sie wie dein bestes, unaufgeregtes Gewissen, das dich zu Liebe, Wahrheit und Mut ruft. Sie verrät niemanden, sie stichelt nicht, sie zieht dich zu Frieden und Verantwortung. Im Zweifel gilt: Das, was zu Liebe und Wahrheit führt, hat seinen Klang. Und das, was dich zynisch, hart oder heimlich macht, ist nicht sein Ton.
Vielleicht sitzt du heute zwischen Terminen, oder du schiebst etwas vor dir her, das dir zu groß ist. Dann erlaube dir, kurz „Schaf“ zu sein – nicht abwertend, sondern entlastend. Du musst nicht alles aus eigener Kraft. Es ist okay, geführt zu werden. Es ist okay, getragen zu werden. Das ist keine Schwäche, sondern kluge Demut.
Der gute Hirte hat seinen Weg mit einem hohen Preis besiegelt: „lässt sein Leben für die Schafe.“ Das bedeutet: Deine Würde ist nicht verhandelbar. Du bist nicht „Kostenstelle Mensch“, sondern geliebt. Daraus wächst Mut. Mut, ruhig zu arbeiten, freundlich zu reden, Grenzen zu setzen, Hilfe zu suchen, anderen beizustehen. Mut, Schritt für Schritt zu gehen – auch durch Täler hindurch.

Wenn du also heute hinausgehst: Schau nach den kleinen Weiden – dem Gespräch, das du schon länger suchst; der Pause, die du dir zugestehst; der ehrlichen Bitte um Rat. Und dann hör hin: Vielleicht ruft er dich – leise, aber deutlich – beim Namen.
Herr Jesus, guter Hirte, du kennst mich beim Namen. Führe mich heute, einen Schritt nach dem anderen. Zeig mir, wo ich innehalten darf und wo ich mutig gehen soll. Stärke die Müden, trage die Beladenen, und lehre uns, deine Stimme zu hören und ihr zu folgen. Lass uns zu Menschen werden, die andere nicht treiben, sondern begleiten. In deiner Nähe ist Frieden.
Amen!
