Hinweis: Friedrich Merz wurde im ersten Wahlgang nicht zum Kanzler gewählt. Erst im zweiten Wahlgang erhielt er die notwendige Merhrheit.
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer,
heute ist ein Tag, den man durchaus geschichtlich nennen kann. Ein Regierungswechsel ist immer mehr als nur ein Wechsel der Personen an der Spitze eines Landes. Es ist ein Moment, in dem sich viele fragen: Was wird jetzt kommen? Was wird anders? Und: Wie wird es besser? Olaf Scholz geht. Friedrich Merz übernimmt das Amt des Bundeskanzlers. Viele sehen diesen Tag mit Hoffnung, andere mit Sorge – und manche vielleicht auch mit einer Mischung aus beidem.


Gestern Abend fand die feierliche Verabschiedung des bisherigen Bundeskanzlers Olaf Scholz durch die Bundeswehr statt – mit dem Großen Zapfenstreich. Diese militärische Zeremonie ist die höchste Form der Ehrenbezeigung der deutschen Streitkräfte. Sie ist geprägt von Ritual, Musik, Respekt – und Gebet. Ein Moment darin ist besonders bemerkenswert: „Helm ab zum Gebet“. Es ist eine stille Geste, in der Soldatinnen und Soldaten den Helm abnehmen, sich aufrichten – und schweigen. Ein Zeichen tiefer Achtung und innerer Sammlung.
Unmittelbar danach wird traditionell der Choral „Ich bete an die Macht der Liebe“ gespielt. Dieses Lied stammt ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert. Der Text wurde von Gerhard Tersteegen gedichtet, die Melodie entstammt einem russischen Militärmarsch. Seit dem 19. Jahrhundert gehört es zum festen Bestandteil des Großen Zapfenstreichs. Es ist ein Gebet in musikalischer Form, das ohne Worte gesungen wird – aber umso stärker spricht. Es ist ein Moment, in dem auch inmitten des Protokolls und der Machtinsignien spürbar wird: Es gibt etwas Größeres als uns. Und dieser Moment verbindet – ganz gleich, wie man politisch denkt.
In der Bibel lesen wir:
„So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“
1. Timotheus 2,1–2
Dieser Vers richtet sich nicht nur an Gläubige. Er ist ein Aufruf zu Verantwortung, Respekt und Mitgefühl. Auch wenn wir anderer Meinung sind, auch wenn wir Entscheidungen nicht verstehen oder kritisieren – die Würde des Amtes bleibt bestehen. Und die Verantwortung, die damit einhergeht, ist gewaltig.
Es ist leicht, über Politiker zu schimpfen. Schwierig ist es, Verantwortung zu tragen. Noch schwieriger ist es, allen gerecht zu werden. Und genau deshalb brauchen unsere politischen Führungen – gleich welcher Partei – unser Gebet, unsere Wachsamkeit, unsere Bereitschaft zur Mitwirkung.
Auch in den Psalmen finden wir Worte, die uns heute begleiten können:
„Verlass dich auf den HERRN von ganzem Herzen und verlass dich nicht auf deinen Verstand, sondern gedenke an ihn in allen deinen Wegen, so wird er dich recht führen.“
Sprüche 3,5–6
Ob Politiker oder Bürger, ob Christin, Muslim, Atheist oder ganz anders unterwegs – diese Worte dürfen alle Menschen ansprechen. Denn sie erinnern daran, dass wir nicht alles allein schaffen müssen. Dass Vertrauen und Demut wichtige Begleiter auf allen Wegen sind.

In einem alten jüdischen Sprichwort heißt es: „Wer ein Amt annimmt, nimmt eine Last auf sich.“ Es ist eine Last, die nicht nur mit Privilegien, sondern vor allem mit Pflichten verbunden ist. Und gerade jetzt – in Zeiten voller Krisen, voller Veränderungen – ist es wichtig, nicht mit Häme und Spott auf Veränderungen zu reagieren, sondern mit Haltung, mit Geist – und mit Herz.
Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in einem Interview mit dem christlichen Medienmagazin pro im Jahr 2009: „Christen sollten nicht verzagt, sondern mit einem Stück Gottvertrauen ausgestattet sein, mit dem sie auch in schwierigen Situationen des Lebens durch die Kraft des Glaubens nach vorne schauen können. Das sollten Christen bezeugen, um ein Beispiel an Lebensmut zu geben.“

Ein Regierungswechsel ist also ein guter Moment, um zu beten. Für Weisheit. Für Mut. Für Gerechtigkeit. Für das Zuhören. Für das Miteinander. Für das Land, in dem wir leben dürfen. Und auch für alle, die nicht in so einem Land leben können.
Und vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe dieses Tages: Nicht Partei zu ergreifen, sondern den Blick zu weiten. Für das, was wirklich zählt.
Gott, wir bitten dich: Segne unseren neuen Kanzler. Gib ihm Weisheit und ein waches Herz. Lass ihn nicht nur für die Lauten Politik machen, sondern besonders auch für die Leisen. Für die, die keine Lobby haben. Für die, die nicht gesehen werden. Segne auch alle Abgeordneten, Mitarbeitenden, Kritikerinnen und Kritiker. Lass unser Land nicht nur klug regiert, sondern menschlich gestaltet werden. Und lass uns alle mithelfen – mit Gebet, mit Verstand und mit Liebe.
Amen!