767 – Wenn Kirche unbequem wird

767 – Wenn Kirche unbequem wird

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wer heute in der Öffentlichkeit über Kirche spricht, bewegt sich auf vermintem Boden. Kaum ein anderes Thema wird so emotional diskutiert. Für manche mischt sich Kirche zu viel in Politik ein, für andere zu wenig. Wieder andere sprechen ihr die Glaubwürdigkeit ganz ab. Doch diese Debatte ist nicht neu – und sie verrät viel über das Verhältnis zwischen Glauben und Macht.

Ein aktuelles Beispiel ist Pfarrer Justus Geilhufe, 1990 in Dresden geboren. Er ist evangelisch-lutherischer Theologe, Buchautor und seit 2021 Pfarrer an der Kirchgemeinde am Dom in Freiberg. Außerdem ist er seit 2024 mit missionarischen Aufgaben in der sächsischen Landeskirche betraut. Zusammen mit der katholischen Bibelwissenschaftlerin Nina Heereman moderiert er den Podcast „Unter Heiden“. Geilhufe gilt als Stimme, die Brücken baut – und Klartext redet.

Pfarrer Justus Geilhufe - wie ihn die KI sieht, Sora, prompted by ChatGPT
Pfarrer Justus Geilhufe – wie ihn die KI sieht, Sora, prompted by ChatGPT

Bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin äußerte er sich kritisch zur politischen Instrumentalisierung von Glauben. „Mit jedem Monat wird die AfD dezidiert kirchenfeindlicher“, sagte er. Aus seiner Sicht geht es dabei nicht um den christlichen Glauben, sondern um Macht und Einfluss. Geilhufe beobachte, „dass, ebenso wie in den USA, Kirchen und religiöse Gemeinschaften in Deutschland vermehrt als Vehikel benutzt würden, um gesellschaftliche Veränderungen voranzutreiben.“ Die AfD suche dafür ganz bewusst kleine christliche Gemeinschaften. Als Beispiel nannte er den Pastor der Evangelisch-Reformierten Baptistengemeinde Frankfurt am Main, Tobias Riemenschneider, der kürzlich bei einer AfD-Veranstaltung im Deutschen Bundestag auftrat. „Es geht der AfD nicht darum, mit einem Pastor Dinge gut zu besprechen“, so Geilhufe, „sondern die AfD sucht eine klerikale Legitimation für ihr Gesellschaftsprojekt.“ Für beide Seiten sei das „eine Win-win-Situation“. (Quelle: pro-medienmagazin.de)

Geilhufes Worte treffen einen Nerv. Denn sie sprechen aus, was viele spüren: Kirche steht im Verdacht, „zu politisch“ zu sein, gerade weil sie das Evangelium ernst nimmt. Doch wer in der Bibel liest, erkennt: Der Glaube war nie unpolitisch. Er hat immer Menschen in Bewegung gebracht – und Mächtige beunruhigt.

„Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
Matthäus 5,9

Dieser Vers aus der Bergpredigt ist keine Einladung zur Ruhe, sondern ein Aufruf zum Handeln. Frieden entsteht nicht im Rückzug, sondern im Engagement. Wer Frieden stiftet, widerspricht der Logik des Konflikts – und riskiert, missverstanden zu werden.

„Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“
Matthäus 5,44

Diese Worte Jesu stellen jedes politische Denken auf den Kopf. Sie rufen zu Liebe und Versöhnung auf, auch dort, wo Gesellschaften sich spalten. Das ist keine parteipolitische Haltung – es ist das Wesen des Evangeliums. Doch gerade weil es unbequem ist, löst es Widerspruch aus.

Schon die Propheten Israels sprachen Klartext, wenn Unrecht herrschte:

„Lernt Gutes tun! Trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwe Sache!“
Jesaja 1,17

Das ist keine Ideologie – das ist Gottes Auftrag. Kirche, die sich für Gerechtigkeit und Menschlichkeit einsetzt, folgt diesem Ruf. Sie verliert nicht ihre Mitte, wenn sie spricht. Sie verliert sie, wenn sie schweigt.

In Folge 759 „Glaube im Blick auf Gesellschaft – Kirche und ihre Verantwortung“ ging es bereits darum, dass Christsein nicht auf den Altarraum beschränkt ist. Kirche darf sich einmischen, weil sie sonst belanglos würde. Glaube ohne Wirkung bleibt Theorie.

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist: nichts anderes als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“
Micha 6,8

Dieser Satz ist bis heute eine Mahnung. Liebe und Demut sind keine Flucht aus der Welt, sondern eine Haltung in ihr. Und genau das will Geilhufe deutlich machen: Kirche ist keine Bühne für politische Projekte – weder von links noch von rechts. Sie gehört niemandem außer Christus.

Bei der Berliner Veranstaltung sprach Geilhufe auch über die „notwendige Profanität“ der Kirche. Manchmal müsse sie Dinge zulassen, die anstößig wirken, weil sie zum Leben gehören. Als Beispiel nannte er die Punk-Bands in DDR-Zeiten, die in Kirchen auftreten durften, weil sie sonst nirgends Raum fanden. Das war kein politisches Programm, sondern gelebte Nächstenliebe – Raum für Menschen, die sonst keinen Platz hatten. Und genau das ist Kirche: ein Ort, der offen bleibt, wo andere Grenzen ziehen.

Konzerte in DDR-Kirchen, Sora, prompted by ChatGPT
Konzerte in DDR-Kirchen, Sora, prompted by ChatGPT

„Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Matthäus 25,40

Wer sich an diese Worte erinnert, weiß: Christlicher Glaube ist niemals bequem. Er fordert heraus. Und deshalb trifft die Kritik, Kirche solle „neutral“ bleiben, nicht den Kern – sie verkennt ihn. Kirche ist berufen, Position zu beziehen, wenn Menschenwürde verletzt wird.

„Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt.“
Matthäus 5,13–14

Salz verändert, Licht stört die Dunkelheit. Beides steht für Wirksamkeit. Wenn Kirche aufhört, unbequem zu sein, verliert sie ihre Würze. Glaube darf kein Dekor sein – er soll prägen, klären, bewegen.

„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.“
Matthäus 6,33

Dieser Vers führt alles zusammen: Wer Gott sucht, darf die Welt nicht vergessen. Sinnstiftung ohne Wahrheit ist hohl. Und Kirche, die Sinn stiften will, ohne sich einzumischen, verfehlt ihre Aufgabe. Sie soll trösten – aber auch aufrütteln.

„Wer diese meine Worte hört und sie tut, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.“
Matthäus 7,24–25

Das Fundament der Kirche ist nicht Zustimmung, sondern Christus selbst. Wer darauf steht, hält den Sturm aus – auch den der öffentlichen Kritik. Eine unbequeme Kirche bleibt eine glaubwürdige Kirche.


Herr, gib uns Mut, deine Wahrheit zu bezeugen, auch wenn sie unbequem ist.

Lass uns Frieden stiften, wo Streit tobt.

Bewahre uns davor, zynisch zu werden, und lehre uns, mit Liebe zu reden, wo andere nur verurteilen.

Lass deine Kirche Salz der Erde bleiben – auch wenn es manchmal in den Wunden brennt.

Amen.


Ein Kommentar

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