Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Leserinnen und Leser,
es gibt Tage, da reicht es einfach. Da möchte man nur noch schreien. Vor Wut. Vor Enttäuschung. Vor Hilflosigkeit. Vielleicht auch vor Schmerz. Jeder kennt solche Tage – die sich wie ein zu enger Schuh anfühlen. Die wehtun. Und in denen ein guter Rat wie eine Ohrfeige klingt.
Ich habe einmal von einem Pastor gehört, der einem jungen Menschen in einer verzweifelten Situation nur einen einzigen Satz sagte: „Dann schrei. Aber schrei zu Gott.“
Dieser Satz hat viele bewegt. Denn er widerspricht dem, was manche über Beten denken: Dass es brav, gefasst, kontrolliert sein muss – mit gefalteten Händen und wohlgesetzten Worten. Aber dieser Pastor öffnete eine andere Tür: Auch ganzer Ärger darf zu Gott.
David, der König und Poet des Alten Testaments, hat das schon vor tausenden Jahren gewusst. In den Psalmen findet sich nicht nur Lob, sondern auch Wut. Klage. Geschrei. Hier ein Beispiel, das unter die Haut geht:
„Herr, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich Sorgen in meiner Seele haben und mich ängstigen in meinem Herzen täglich?“
Psalm 13,2-3

David hält nichts zurück. Keine fromme Maske. Keine höfliche Rede. Nur rohe Emotion. Aber gerade das ist Glaube. Ein echter, lebendiger Glaube, der nicht aufgibt, sondern schreit – weil er glaubt, dass jemand hört.
Auch Jeremia, der Prophet, der unter Tränen seine Botschaften bringen musste, sagte an einer Stelle:
„Warum ist mein Schmerz unheilbar und meine Wunde so böse, dass sie nicht heilen will? Willst du mir denn sein wie ein trügerischer Bach, wie Wasser, das versiegt?“
Jeremia 15,18
Auch das ist ein Gebet. Kein schönes. Aber ein ehrliches. Und genau das ist das Entscheidende: Gott hält unser Geschrei aus. Er verachtet es nicht. Im Gegenteil: Er lädt uns sogar ein, es loszuwerden.
Im 1. Petrusbrief heißt es:
„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“
1. Petrus 5,7
Da steht nicht: „Bringt eure Sorgen hübsch verpackt.“ Nein. „Werft“ sie. Das ist ein starkes Wort. Schleudert sie auf ihn. Gib alles ab – auch den Ärger, die Enttäuschung, das Unverdaute. Gott ist keine Porzellanpuppe, sondern ein Fels.
Ich habe von einer Geschichte gehört, in der ein junger Mensch allein in einem Raum geschrien hat. Nicht gegen jemanden, sondern einfach raus mit allem. Und dann – kein Donner, kein Urteil. Nur Stille. Und irgendwie Frieden. Diese Geschichte hat mich bewegt.

Vielleicht ist das das größte Geschenk: Du darfst mit allem zu Gott. Auch mit der Wut. Auch mit den Fragen. Auch mit dem Gefühl, dass alles zu viel ist. Gott kann das nicht nur ertragen – er lädt dich ein, es loszuwerden. Nicht an anderen, sondern bei ihm.
Manchmal ist der ehrlichste Glaube ein lauter Schrei. Und das ist okay.
Gott, ich habe so viel auf dem Herzen.
Es tut weh.
Ich bin wütend.
Ich verstehe vieles nicht.
Aber ich will es dir geben – so, wie es ist.
Nimm meine Wut. Nimm meinen Schmerz.
Und gib mir deine Kraft. Deinen Trost. Deine Nähe.
Danke, dass ich mit allem zu dir kommen darf.
Amen!
