Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer,
manchmal sind es die Worte, die eine ganze Wirklichkeit verdrehen. „Zustrombegrenzungsgesetz“ – ein technisches, bürokratisches Wort, das nach Verwaltung und Ordnung klingt. Doch hinter diesem Wort stehen Menschen. Familien, Kinder, Männer und Frauen, die ihre Heimat verlassen mussten, oft in Todesangst, oft ohne Alternative. Es geht nicht um eine anonyme Masse, sondern um Individuen, die ein Gesicht, eine Geschichte und eine Hoffnung haben.
Jesus selbst wusste, was es bedeutet, fremd zu sein. Seine Familie floh nach Ägypten, weil Herodes alle kleinen Jungen töten ließ. Und doch sagt er später:
„Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.“
Matthäus 25,35
Wie gehen wir als Gesellschaft mit dem Fremden um? Sind wir noch in der Lage, einen Menschen zu sehen, wo andere nur eine Zahl sehen wollen? Es scheint, als würden manche Politiker bewusst mit Ängsten spielen, um sich Zustimmung zu sichern. Sie sprechen von „Begrenzung“, als ginge es um eine Naturgewalt, die über uns hereinbricht. Doch Menschen sind keine Flutwellen, die man stoppen kann. Menschen sind auch keine „Probleme“, die man mit einer Gesetzesänderung aus der Welt schaffen kann.
Ein anderes Wort, das Jesus gesagt hat, kommt mir in den Sinn:
„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“
Matthäus 25,40
Wie sehr nehmen wir das ernst? Wenn wir beschließen, dass Familien nicht mehr nachziehen dürfen, wen treffen wir dann? Wenn wir beschließen, dass Abschiebungen erleichtert werden, wen schicken wir dann zurück? Es sind nicht Zahlen auf einem Papier, es sind echte Menschen mit echten Schicksalen. Die Art, wie wir über sie sprechen, wie wir sie behandeln, sagt viel darüber aus, wer wir selbst sind.
Es gibt eine Geschichte aus der Bibel, die mich immer wieder tief bewegt. Sie erzählt von einem Mann, der von Räubern überfallen, ausgeraubt und halbtot am Straßenrand liegen gelassen wurde. Ein Priester kam vorbei, ein Tempeldiener kam vorbei – beide gingen auf der anderen Seite vorüber. Doch dann kam ein Fremder, ein Samariter, jemand, der eigentlich verachtet wurde. Er hielt an, versorgte die Wunden des Mannes, brachte ihn in eine Herberge und bezahlte für seine Pflege.
„Wer von diesen dreien, meinst du, ist dem unter die Räuber Gefallenen der Nächste gewesen?“
Lukas 10,36

Jesus stellt eine einfache, aber herausfordernde Frage. Es ist nicht wichtig, welche Regeln wir aufstellen, wenn es um Menschen in Not geht. Entscheidend ist, wer bereit ist, stehenzubleiben und zu helfen.
Was heißt das für uns heute? Müssen wir alle Menschen aufnehmen, egal woher sie kommen? Müssen wir unsere Grenzen abschaffen? Nein, das fordert niemand. Aber wir müssen in unserer Sprache und in unseren Gesetzen immer daran denken: Es geht nicht um „Ströme“, es geht nicht um „Lasten“, es geht um Menschen. Und als Christen – oder einfach als Menschen mit Herz – haben wir eine Verantwortung, wie wir mit ihnen umgehen.
Vielleicht können wir nicht die ganze Welt retten. Aber wir können verhindern, dass unser eigenes Herz hart wird. Wir können hinschauen, zuhören und helfen, wo es nötig ist. Denn jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes – und wer einen Menschen verachtet, verachtet auch seinen Schöpfer.
Guter Gott,
du hast uns die Augen und das Herz gegeben, um zu sehen und zu fühlen.
Hilf uns, dass wir nicht in Angst oder Hass verfallen, sondern in Liebe und Mitgefühl handeln.
Gib den politisch Verantwortlichen Weisheit, dass sie gerechte Entscheidungen treffen,
und schenke uns allen den Mut, für das Menschliche einzustehen.
Amen!