Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer,
in Berlin wird gerade etwas verhandelt, das unser Land für Jahre prägen kann: CDU, CSU und SPD sprechen über eine mögliche Koalition. Im Zentrum stehen Friedrich Merz, der CDU-Vorsitzende, und Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender. Beide tragen gerade eine riesige Verantwortung – nicht nur für ihre Parteien, sondern für unser ganzes Land. Es geht um mehr als Macht. Es geht um die Zukunft unserer Demokratie.
Die demokratischen Kräfte im Land sind herausgefordert, sich nicht nur parteipolitisch, sondern menschlich anzunähern. Es geht darum, Gemeinsames über Trennendes zu stellen – nicht, um Prinzipien aufzugeben, sondern um dem zu begegnen, was uns alle bedroht: einer Partei, die in Teilen offen rechtsextremistisch ist, und trotzdem die zweitgrößte Fraktion im Bundestag ist und trotzdem die zweitgrößte Fraktion im Bundestag ist – die AfD.
Die Bibel gibt uns keine Wahlprogramme vor. Aber sie gibt uns eine Haltung mit, wie wir miteinander umgehen sollen. Und sie warnt uns davor, Macht über Menschen auf Kosten der Schwachen auszuüben. In 5. Mose 16,20 lesen wir:
„Der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit sollst du nachjagen, auf dass du lebst und das Land einnehmest, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.“
5. Mose 16,20
Gerechtigkeit ist kein abstraktes Wort. Es ist der Maßstab, an dem sich Politik messen lassen muss. Und es ist der Prüfstein für uns Christinnen und Christen. Wer wie die AfD die Menschen nach Herkunft sortiert, sich immer wieder von antisemitischen, rassistischen und geschichtsverfälschenden Tönen nicht distanziert, stellt sich gegen die Botschaft Jesu.
Jesus sagt in der Bergpredigt:
„Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
Matthäus 5,9

Wer Frieden stiftet, sucht keine Schuldigen. Er oder sie sucht Lösungen. Das ist die Aufgabe der Parteien, die sich jetzt an einen Tisch setzen. Auch wenn die Gespräche hart sind – und es viele Unterschiede gibt: Ein Kompromiss ist kein Verrat. Er ist ein Zeichen von Reife. Von Verantwortungsbewusstsein. Und manchmal einfach ein Lebenszeichen für eine Demokratie, die atmen will. Wer Kompromisse verdammt, verkennt das Wesen unseres Zusammenlebens. Wer sie als „Wortbruch“ abtut, spielt den Populisten in die Hände.
Die Geschichte lehrt uns, dass Demokratien nicht an zu viel Streit scheitern – sondern daran, dass Menschen aufhören, miteinander zu reden. Dass sie lieber schreien als zuhören. Und dass sie meinen, einfache Antworten seien besser als komplexe Wahrheiten.
Ich erinnere mich an einen Bericht aus Thüringen, der mich nicht mehr loslässt. Ein älterer Herr, 85 Jahre, saß auf einer Wahlveranstaltung der AfD. Und er sagte in die Kamera: „Ich will, dass endlich wieder Ordnung herrscht.“ Auf die Frage, was für eine Ordnung er meine, sagte er: „So wie früher. Da war das Land noch deutsch.“ Der Mann meinte es nicht böse – aber was er sich zurückwünschte, war keine Ordnung. Es war Ausgrenzung. Es war Unfreiheit. Und es war das Gegenteil dessen, wofür unsere Verfassung und auch das Evangelium stehen.

Als Christinnen und Christen dürfen – und sollen – wir für Demokratie beten. Weil sie die einzige Regierungsform ist, die den Einzelnen schützt. Die Minderheiten achtet. Die Kritik aushält. Und die Fehler korrigieren kann.
Im Römerbrief lesen wir:
„Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“
Römer 12,18

Genau darum geht es jetzt. Es geht nicht darum, dass SPD und Union sich lieben lernen. Es geht darum, dass sie gemeinsam Verantwortung übernehmen. Für ein Land, in dem extrem rechte Parolen nicht zur Normalität werden. In dem Hass keinen Platz bekommt. Und in dem wir weiterhin sagen können: Du bist willkommen, wie du bist.
Und auch das ist wichtig: Eine Koalition heißt nicht, dass man sich selbst aufgibt. Sondern, dass man die eigene Haltung so einbringt, dass sie Teil einer größeren Idee wird. Es ist wie in einer guten Ehe – man bleibt man selbst, aber man lebt nicht mehr nur für sich.
Beten wir darum, dass diese Gespräche gelingen. Beten wir für Mut, für Demut, für offene Herzen und kluge Köpfe. Und beten wir dafür, dass unser Land Menschen hat, die bereit sind, das Richtige zu tun – auch wenn es anstrengend ist.
Gott, wir bitten dich: Segne die Gespräche in Berlin. Gib den Verhandelnden Weisheit, Mut und ein hörendes Herz. Stärke alle, die sich für unsere Demokratie einsetzen – in der Politik, in der Gesellschaft und im Alltag. Schenke unserem Land Menschen, die Frieden suchen und Gerechtigkeit leben. Und hilf uns, nicht wegzusehen, wenn andere ausgegrenzt werden. Sei du der Geist in unseren Entscheidungen.
Amen!