281 – Die Bibel als Erzählung von Migration und Hoffnung

281 – Die Bibel als Erzählung von Migration und Hoffnung

Liebe Schwestern und Brüder,

heute möchte ich euch zu einer Reise durch die Geschichten der Bibel einladen, die uns zeigen, dass Migration und das Leben als Fremde tief in unserer christlichen Tradition verwurzelt sind. Die Wiener Theologin Regina Polak hat diese Perspektive eindrucksvoll hervorgehoben und darauf aufmerksam gemacht, dass die Bibel nicht nur Heldengeschichten erzählt, sondern auch von Flucht, Vertreibung und der Suche nach Heimat berichtet. Polak betonte in einem Vortrag an der Katholischen Akademie Freiburg:

„Viele Erzählungen, Gebete und Rechtstexte im Alten und Neuen Testament berichten von Menschen, die fliehen müssen, verfolgt sind, zu Opfern werden und dann durch die Zusage Gottes ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen und ihr Leben in die Hand nehmen.“

Regina Polak in katholisch.de

Beginnen wir mit der Schöpfungsgeschichte, die uns von der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies erzählt. Adam und Eva müssen das Paradies verlassen und sich in einer Welt zurechtfinden, die ihnen fremd und herausfordernd erscheint. Diese Geschichte ist ein Urbild für viele weitere Erzählungen in der Bibel, in denen Menschen ihre Heimat verlassen müssen und auf der Suche nach einem neuen Ort des Friedens sind.

Im Buch Exodus lesen wir von der Flucht des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten. Mose führt das Volk durch die Wüste, auf der Suche nach dem Gelobten Land, einem Ort der Freiheit und des neuen Anfangs. Gott selbst begleitet und führt sie, gibt ihnen Mut und Hoffnung.

„Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre Klage über ihre Bedränger gehört. Ich kenne ihr Leid. Darum bin ich herabgestiegen, um sie der Gewalt der Ägypter zu entreißen und sie aus Ägypten hinauszuführen in ein schönes und weites Land.“

Exodus 3,7-8

Auch im Neuen Testament finden wir zahlreiche Geschichten von Flucht und Vertreibung. So lesen wir in der Kindheitsgeschichte Jesu, dass seine Familie vor der Gewalt von König Herodes fliehen musste.

„Josef stand auf, nahm das Kind und seine Mutter in der Nacht und zog nach Ägypten.“

Matthäus 2,14

Diese Erzählung zeigt uns, dass Jesus selbst als Flüchtling aufwuchs und das Leben in der Fremde erlebte.

Regina Polak erinnert uns daran, dass diese Geschichten nicht romantisiert oder idealisiert werden sollen. Sie zeigen uns vielmehr die Herausforderungen, das Leid und die Hoffnungen der Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Sie rufen uns auf, diese Perspektive in die heutigen Migrationsdebatten einzubringen und die Würde jedes einzelnen Menschen zu sehen.

Diskussion über Glaube und Migration, DALL·E, prompted by Michael Voß
Diskussion über Glaube und Migration, DALL·E, prompted by Michael Voß

Die Erde gehört nicht einem Menschen, sondern Fremde und Ansässige haben gleiche Besitzansprüche – dieses biblische Prinzip fordert uns heraus, unseren Blick auf die Welt und auf die Menschen, die zu uns kommen, zu verändern. Jeder Mensch hat einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte. Die langen Namenslisten im Alten Testament erinnern uns daran, dass niemand anonym ist, sondern jeder Einzelne von Gott geliebt und gekannt wird.

Lasst uns daher die Bibel unter diesem Blickwinkel neu lesen und ihre Botschaft in die Gegenwart tragen. Wir können vielleicht keine direkten politischen oder rechtlichen Lösungen aus diesen alten Texten ableiten, aber wir können eine Haltung der Mitmenschlichkeit und Solidarität entwickeln.

Lasst uns beten:

Herr, unser Gott, du hast dein Volk immer begleitet, auch in Zeiten der Flucht und Vertreibung. Öffne unsere Herzen für die Not der Menschen, die heute ihre Heimat verlassen müssen. Lass uns deine Liebe und Barmherzigkeit weitergeben, damit wir gemeinsam Orte der Hoffnung und des Friedens schaffen.

Amen!

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