Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer,
es ist schon erstaunlich, was Politikerinnen sich manchmal zutrauen, wenn sie die Kirche kommentieren. Julia Klöckner, Bundestagspräsidentin, CDU-Politikerin, studierte Theologin und ehemalige Bundesministerin, hat sich zu Ostern öffentlich darüber beklagt, dass Kirchen sich zu politischen Themen äußern. Besonders das Thema Tempolimit schien sie zu ärgern – und sie erklärte, für solche Themen wolle sie keine Kirchensteuer mehr zahlen. Gleichzeitig will sie aber bestimmen, zu welchen Themen sich Kirchen äußern dürfen. Da kann man sich nur die Augen reiben.
Aber worum geht es hier eigentlich wirklich? Um Tempo 130 auf der Autobahn? Oder steckt da nicht ein viel größeres Thema dahinter: Wer darf heute noch öffentlich christliche Maßstäbe benennen – und wem passt das vielleicht nicht?
Die Bibel gibt uns eine klare Antwort darauf, ob Glaube und Politik etwas miteinander zu tun haben.
„Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
Matthäus 5,9
Frieden stiften ist kein rein innerlicher Vorgang. Es hat etwas mit dem echten Leben zu tun, mit Streit, mit Krieg, mit Ungerechtigkeit, mit Klimaschutz, mit Tempo 130 – ja, auch damit. Wer sich gegen Dinge stellt, die Menschen gefährden oder die Schöpfung kaputt machen, handelt in diesem Sinne politisch – aber aus dem Evangelium heraus.

Die Bergpredigt von Jesus ist in ihrer ganzen Struktur eine politische Rede. Wer meint, Kirche solle dazu schweigen, hat nicht verstanden, was Jesus da getan hat. Jesus hat eben nicht gesagt: Betet still in eurer Kammer und haltet euch aus der Welt heraus. Sondern:
„Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen?“
Matthäus 5,13
Salz verändert. Es macht Geschmack. Es mischt sich ein. Es bleibt nicht neutral. Und so ist auch das Evangelium keine beruhigende Hintergrundmusik, sondern ein lauter Ton, wo andere schweigen.
Wer heute als Christ oder Christin lebt, lebt in einer Welt voller politischer Entscheidungen – in Bezug auf Migration, Klima, soziale Gerechtigkeit, Krieg und Frieden. Wer hier schweigt, macht sich mitschuldig.
Wenn konservative Christinnen und Christen gleichzeitig die AfD unterstützen, eine Partei, die gegen Geflüchtete hetzt, die Hass sät und unser demokratisches Miteinander bedroht, dann muss Kirche laut werden. Und zwar nicht nur im stillen Gebet, sondern auf Marktplätzen, in Predigten und in der Presse.
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
3. Mose 19,18

Diese uralte Weisung zieht sich durch das ganze Neue Testament – Jesus selbst hat sie als die höchste Regel genannt. Wer sich für christlich hält und gleichzeitig menschenfeindliche Positionen vertritt, widerspricht dem Herzstück des Glaubens.
Natürlich kann man darüber diskutieren, welche Themen die Kirche besonders betont. Aber ihr zu sagen, worüber sie schweigen soll, ist ein gefährliches Spiel. Denn eine Kirche, die sich nicht mehr äußern darf, ist keine freie Kirche mehr. Sie wird zum Bittsteller in der Gesellschaft.
Wer sich erinnert, wie mutig die Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus war – Dietrich Bonhoeffer, die Bekennende Kirche, später auch die DDR-Opposition – der weiß: Christlicher Glaube ohne klare Haltung ist hohl.
Es gab einmal einen Pfarrer in Ostdeutschland, der in einer Predigt ganz offen die SED-Regierung kritisierte. Er sagte: „Wenn ich heute schweige, was soll ich meinen Kindern später sagen?“ Diese Frage gilt bis heute. Schweigen ist keine Option. Auch nicht für Kirchen. Auch nicht bei einem Tempolimit.

Vielleicht sollten wir uns alle wieder klar machen, dass Kirche keine Serviceeinheit für spirituelle Wellness ist. Kirche ist eine Stimme in der Welt. Und manchmal muss sie nerven.
Und ja, es ist okay, wenn nicht alle das gut finden. Aber wer sich vom Evangelium herausgefordert fühlt, sollte nicht der Kirche den Mund verbieten – sondern sich selbst fragen, warum die Worte Jesu ihn oder sie so treffen.
Gott, öffne unsere Herzen für deinen unbequemen Trost. Gib uns den Mut, nicht zu schweigen, wenn Unrecht geschieht. Und bewahre deine Kirche davor, gefällig zu werden, statt klar zu sprechen. Lass uns Menschen sein, die lieben – und deshalb nicht wegsehen.
Amen!